Die Lokführergewerkschaft rechnet die Streikstimmung hoch

Die GDL kommt auf 91 Prozent Zustimmung zum Arbeitskampf, weil sie ein nicht übliches Zählverfahren anwendet

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Von Wolfgang Mulke

15. Okt. 2014 –

Nach der Auszählung der Stimmen bei der Urabstimmung der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) verkündete deren Chef Claus Weselsky eine eindeutiges Ja zum Arbeitskampf. In seiner Pressemitteilung las sich das so: „91 Prozent der mehr als 16.000 befragten GDL-Mitglieder votierten in der Urabstimmung bei der Deutschen Bahn für Streik.“ Doch der Arbeitsrechtler Manfred Löwisch von der Uni Freiburg hält die Angaben für „falsch“. Der Jurist kommt auf eine Zustimmung von weniger als drei Viertel der stimmberechtigten Gewerkschaftsmitglieder.

 

Der Trick: Die GDL hat nur die abgegebenen Stimmen berücksichtigt. Auf 91 Prozent der Stimmzettel wurde dem Arbeitskampf zugestimmt. Aber es haben längst nicht alle genannten 16.000 Mitglieder ihr Votum eingereicht. Löwisch zufolge müssen einem Streik jedoch drei Viertel aller vom Tarifkonflikt betroffenen Mitglieder zustimmen. Nimmt ein Gewerkschaftsmitglied an der Abstimmung nicht teil, wird dies üblicherweise als „Nein“ gewertet. Das Vorgehen sei eine „absolute Ausnahme“. Der Professor hat aus den Zahlenangaben der GDL errechnet, dass etwa 3.000 ihrer Mitglieder bei der Urabstimmung nicht mitgemacht hat.

 

Tatsächlich erwartet die Großgewerkschaft Verdi zum Beispiel eine echte Mehrheit von 75 Prozent aller von einem Tarifvertrag betroffenen Mitglieder, bevor ein Streik ausgerufen wird. Die GDL verfährt anders, wie Sprecherin Gerda Seibert erklärt. „Nach der Arbeitskampfordnung der GDL werden für das Ergebnis der Urabstimmung die abgegebenen Stimmen gewertet“, erläutert Seibert. Die Arbeitskampfordnung lässt die Interpretation der heutigen Führung zwar zu. Dort heißt es im Paragrafen 12: „Ein Streik kann nur durchgeführt werden, wenn sich mehr als 75 Prozent der an der Urabstimmung beteiligten stimmberechtigten Arbeitnehmer für die Durchführung entschieden haben.“ Spitzfindig ist die derzeitige Auslegung der Regelung jedoch schon. Weselskys Vorgänger Manfred Schell interpretiert denselben Passus genau umgekehrt. Es gehe um 75 Prozent der Stimmberechtigten, sagt Schell, nicht um den Anteil abgegebener Ja-Stimmen.

 

Was dieses Verfahren in der Praxis für das Streikgeschehen bedeuten kann, bringt einer der GDL-Bezirksvorsitzenden auf den Punkt. „Wenn vier Mitglieder an der Urabstimmung teilnehmen und drei für einen Arbeitskampf sind, wird gestreikt“, sagt er. Noch deutlicher wird das Missverhältnis zwischen der Bewertung der GDL und dem tatsächlichen Rückhalt bei Zugpersonal beim Blick auf alle Beschäftigten. Weselsky redet von „großer Zustimmung“, einem „absolut überzeugenden“ Ergebnis und „fester Entschlossenheit“. Tatsächlich haben von den 37.000 Beschäftigten bei den Eisenbahnunternehmen der Deutschen Bahn nur etwas mehr als ein Drittel für den laufenden Arbeitskampf gestimmt. Die anderen sind entweder Mitglieder der Konkurrenzgewerkschaft EVG, gehören keiner Organisation an oder sind Beamte.

 

 

 

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