"Die Marktwirtschaft hat die Lage vieler Menschen verbessert"

Allianz-Finanzvorstand Achleitner: Wohltätigkeit reicht nicht aus/ Geschäftstätigkeit so ausrichten, dass sie den Armen zugute komme

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Von Hannes Koch

12. Mär. 2008 –

taz: Herr Achleitner, Bill Gates hat sich unlängst für einen "kreativen Kapitalismus" ausgesprochen. Die großen Unternehmen müssten dafür sorgen, dass endlich nicht nur die Wohlhabenden und Reichen, sondern auch die Armen vom Wachstum profitieren. Teilen Sie diese Ansicht?

Paul Achleitner: Wenn er "endlich" gesagt hat, kann ich das nicht nachvollziehen. Die Marktwirtschaft hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, die Lage vieler Menschen zu bessern. Indien und China haben Anschluss gefunden an die Entwicklung in den Industrieländern.

Trotzdem lebt eine Milliarde Menschen von weniger als einem Dollar am Tag.

Wir befinden uns in einer merkwürdigen Lage. Das Modell der Marktwirtschaft ist so erfolgreich, dass kein klarer Gegenentwurf mehr existiert. Deswegen richtet sich unser Augenmerk auf das, was nicht perfekt funktioniert. So betrachtet, hat Gates völlig Recht: Wir haben eine Verantwortung dafür, das System besser zu machen.

Mit den Millenniumzielen hat die UN festgelegt, dass bis zum Jahr 2015 die schlimmste Armut weltweit beseitigt sein soll. Was tut die Allianz dafür, dieses Ziel zu erreichen?

Jedes Unternehmen muss sich da engagieren, wo es den besten Beitrag leisten kann. Wohltätigkeit, Spenden und Stiftungen sind sinnvoll, reichen aber nicht. Viel wichtiger erscheint es mir, die eigentliche Geschäftstätigkeit so auszurichten, dass sie den Armen zugute kommt. Für uns heißt das, Menschen, die bisher keine Absicherung kannten, einen Mindestschutz gegen bedrohliche Risiken zu bieten. Um diesen Anspruch in konkrete Produkte zu übersetzen, kooperieren wir beispielsweise mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Was die Millenniumsziele angeht: Das sind sehr wichtige Wegweiser, in welche Richtung wir gehen wollen - unabhängig davon, ob man die Ziele 2015 oder 2025 erreicht.

Die Zielmarke 2015 ist kein willkürliches Datum, sondern ein Beschluss der UN. Das hat zwar keine Gesetzeskraft, aber politisch verbindlichen Charakter. Stellen Sie dieses Ziel in Frage?

Keineswegs. Wenn man ein so umfangreiches Projekt angeht, ist es extrem wichtig, klare Ziele und Deadlines zu formulieren, sonst passiert nichts. Aber man muss auch realistisch sein. Das Projekt wäre nicht gescheitert, würde seine Verwirklichung ein paar Jahre länger dauern als bis 2015.

Unternehmen wie die Boston Consulting Group wollen den ärmeren Teil der Weltbevölkerung, der heute quasi außerhalb der Marktwirtschaft lebt, einbeziehen. Von Ihrem Unternehmen hört man in dieser Hinsicht wenig.

Wenn Ihr Haus niederbrennt oder meines, ist das für uns dramatisch, aber es wird die Erziehung unserer Kinder nicht negativ beeinflussen. In ärmeren Ländern ist das anders. Deshalb besteht dort ein ganz spezieller Bedarf an Schutz. Dem versuchen wir mit neuen Versicherungs- und Finanzprodukten gerecht zu werden, beispielsweise der Mikro-Krankenversicherung, die wir jetzt zusammen mit der Hilfsorganisation Care entwickeln.

Wie viele arme Bauern gehören denn zu ihren Kunden? Oder sprechen Sie eher die Angehörigen der neuen Mittelschicht an?

In Indien gewinnen wir schon jetzt pro Monat 400.000 neue Kunden - ein knappes Viertel von ihnen lebt auf dem Land. Aber ich will keinen falschen Eindruck erwecken. Der Verkauf von Produkten, die sich speziell an die ganz Armen richten, steht noch am Anfang.

Das ist eine sehr kleine Nische.

Es wird noch einige Zeit vergehen, bis wir die Durchdringung dieses neuen Marktes erreicht haben.

Haben Sie sich Ziele gesetzt, in welchem Zeitraum Sie welche Fortschritte machen wollen?

Wenn mir vor sieben Jahren jemand erzählt hätte, dass unser Geschäft in Indien so schnell wächst wie heute, hätte ich gelacht. In unserer Allianz-Welt gab es dafür überhaupt keine Daten, auf die man Prognosen hätte stützen können. Deshalb rate ich zur Vorsicht, was Ziele für unbekannte Geschäftsfelder betrifft.

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