Die paradoxe Energiewende
Deutschland ist erfolgreich. Gerade das macht der Bundesregierung Angst
09. Mär. 2012 –
Reist Umweltminister Norbert Röttgen ins Ausland, fragen ihn seine Gesprächspartner dort oft: „Was machen Sie da in Deutschland eigentlich?“ Dann muss Röttgen wieder einmal erklären, was es mit der Energiewende und der Abschaltung der Atomkraftwerke auf sich hat. Mit seinem scheinbar konsequenten Kurs in die ökologische Energiezukunft ist Deutschland weltweit Vorreiter und Ausnahme – und wird entsprechend argwöhnisch oder auch bewundernd beobachtet.
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima – sie ereignete sich am 11. März vor genau einem Jahr – fasste die Bundesregierung einige ziemlich weitreichende Beschlüsse. Alle deutschen Atomkraftwerke sollen innerhalb der kommenden zehn Jahre abgeschaltet werden. Der Strom wird dann zunehmend aus umweltfreundlichen Wind-, Sonne- und Biomasse-Kraftwerken fließen. Und bis 2050, so der Plan, ist die Stromproduktion fast völlig auf erneuerbare Energien umgestellt.
Das klingt klar und eindeutig. Wie vieles im Leben verläuft dieser Prozess gleichwohl nicht friktionslos. Im Gegenteil – er ist teilweise widersprüchlich. Denn noch wenige Monate vor Fukushima ging der CDU-CSU-FDP-Koalition die schon früher vereinbarte Energiewende zu schnell. Kanzlerin Angela Merkel und ihr Kabinett beschlossen, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern.
Dann aber kam der GAU in Japan, und Merkel trat auf´s Gaspedal. Innerhalb weniger Tage setzte sie den Ausstieg durch. Nun, ein Jahr danach, geht es der Regierung dagegen wieder zu schnell: Weil Bürger und Investoren die Energiewende ernst nehmen und viele Solar- und Windkraftwerke bauen, will Berlin die Förderung für Sonnenstrom massiv kürzen.
Mit der beabsichtigten Reduzierung, die der Bundestag am Freitag (9.3.) erstmals beriet, reagiert die Regierung auf einen großen Erfolg. Das Wachstum der erneuerbaren Energien verläuft schneller, als frühere Prognosen annahmen. Bereits 20 Prozent des Stroms fließen mittlerweile aus sauberen Quellen. Und in den beiden vergangenen Jahren gingen jeweils rund doppelt so viele Solarkraftwerke ans Netz wie geplant.
Dieses Wachstum allerdings ist zum Teil künstlich. Es resultiert aus der Spanne zwischen der hohen Vergütung, die Betreiber von Ökokraftwerken für die Einspeisung ihres Stromes erhalten, und den stark sinkenden Preisen für Photovoltaikmodule. So erwirtschafteten Betreiber von Solaranlagen im vergangenen Jahr teilweise zweistellige Gewinne. Derartige Renditen zu finanzieren, sagt die Mehrheit der Koalition, sei nicht Aufgabe der Stromverbraucher, auf deren Rechnung die Ökovergütung umgelegt wird.
So berechtigt diese Argumente einerseits sein mögen, so getrieben sind sie andererseits von Lobbyinteressen. Die Gewinnmarge von konventionellen Stromproduzenten wie EnBW, RWE oder großen regionalen Versorgern sinkt, wenn ihre Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke weniger Energie liefern können. Dies ist die Folge des steigenden Anteils von Ökostrom, der gesetzlichen Vorrang bei der Einspeisung in die Netze genießt.
Und auch an anderer Stelle wird die Energiewende gerade von Problemen gebremst. Neue Windparks auf der Nordsee werden zur Zeit nicht mehr projektiert, weil der Netzbetreiber Tennet mit Bau und Finanzierung der Anschlussleitungen überfordert ist. Hier stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, diese Mammutaufgabe nur einem Unternehmen aufzubürden.
Von solchen Ungereimtheiten abgesehen allerdings ist klar, dass die Energiewende ein Generationenprojekt ist. Sie wird uns die kommenden 30 Jahre beschäftigten. Deshalb wäre es nun, nur ein Jahr nach Fukushima, übertrieben, vom bevorstehenden Scheitern der Energierevolution zu sprechen.