Die Polarisierung der Manager

Reicht die Regulierung der Banken oder sind weitere staatliche Eingriffe sinnvoll? Im weltdemokratischen Diskurs beim World Economic Forum in Davos sind die Regulierungskeptiker in der Minderheit

Teilen!

Von Hannes Koch

29. Jan. 2010 –

In rabiatem, leicht schwäbisch gefärbtem Englisch spricht Klaus Schwab eine deutliche Warnung aus. „Nach der Finanzkrise und der Wirtschaftskrise könnte 2010 die soziale Krise kommen“, mahnt der rotwangige Chef des World Economic Forum in Davos. Diese Sorge, gerichtet an hunderte Konzernvorstände, Manager und Spitzenpolitiker, die Schwabs Eröffnungsansprache des 40. WEF beiwohnen, entspricht dem Credo des 71jährigen Schwab. Es lautet: „Den Zustand der Welt verbessern“.


Doch eigentlich ist seine Warnung überflüssig. Schwab rennt offene Türen ein. Beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum, dem informellen Gipfel der Wirtschafts- und Politikelite geben sich die Manager erstaunlich zahm. Die früher üblichen Forderungen nach Deregulierung staatlicher Aktivitäten, Privatisierung und Kürzungen der Sozialausgaben fehlen völlig. Die Ankündigungen des griechischen Finanzministers George Papaconstantinou, den drohenden Staatsbankrott durch massive Etatkürzungen abzuwenden, klingen wie Nachrichten aus einer anderen Welt.


Den Ton trifft dagegen einer wie Metro-Vorstand Eckhard Cordes, der in einer Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Das Vertrauen in die Wirtschaftsführer erneuern“ sagt: „Wir haben in der Krise keine Stellen abgebaut, obwohl das billiger für uns gewesen wäre“. Damit nicht genug: Detailliert schildert Cordes, wie die Metro soziale Verantwortung gegenüber der Gesellschaft praktiziere, indem man gezielt die regionale Produktion kleiner Lebensmittellieferenten fördere. Die süße Soße des sozialen Konsenses? Mag sein. In jedem Fall aber hat das Versagen privater Konzerne in der Finanzkrise die Atmosphäre insgesamt verändert. Und das macht sich auch in Davos bemerkbar. Es herrscht eine Art Wettlauf um Wirtschaftsethik. Niemand will in den Verdacht kommen, sich ähnlich verantwortungslos zu verhalten, wie man es manchen Bankern nachsagt.


So verläuft die tatsächliche Konfliktlinie des Forums denn auch woanders. Es geht nicht mehr um die alte Frage „Regulierung – ja oder nein?“. Eine Rolle spielt nur noch, wie stark die staatlichen Eingriffe ausfallen sollen, mit der sich die Mehrheit der 2.500 Gäste des Forums grundsätzlich abgefunden zu haben scheinen. An dieser Frage allerdings spaltet sich das Forum. Die Polarisierung zwischen den beiden Lagern ist zu keinem Zeitpunkt so spürbar, wie anlässlich der Rede des französischen Staatspräsidenten im großen Saal des Kongresszentrums.


Nicolas Sarkozy führt einen halbstündigen rhetorischen Feldzug gegen die bösen Banker. In undiplomatischen, fast beleidigenden Worten wirft er ihnen unverantwortliches Verhalten und Gier vor und fordert eine weitere Regulierung des Finanzsektors. Damit begibt sich der Franzose auf die Linie, die unlängst US-Präsident Barack Obama vorzeichnete, als er ankündigte, den Banken bestimmte Geschäftsmodelle zu verbieten und große Institute in kleinere Einheiten zu zerlegen. Dass der internationale Rückhalt für eine derartige Politik wächst, zeigt sich auch im Umkreis des Weltwirtschaftsforums. So bezeichnet Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), die Obama-Initiative als Schritt in die richtige Richtung. Und auch die Regierungen Südkoreas und Chinas, beide Mitglieder in der G20-Gruppe der wichtigsten Wirtschaftsnationen, signalisieren vorsichtige Unterstützung für einen stabileren Rahmen der Finanzmärkte.


Nachdem Sarkozy seine Rede beendet hat, springen die einen von ihren Sitzen auf und spenden ihm stehend Applaus. Jacob Wallenberg, Chef von Investor AB aus Schweden, etwa sagt: „Ja, wir brauchen eine globale Regulierungsinstanz für die Finanzmärkte“. Manche Vorstände großer Banken und Unternehmen schütteln dagegen entgeistert die Köpfe. Deutsche-Bank-Vorstand Josef Ackermann betrachtet die eigentümliche Szene mit hartem Gesicht. Später wird er in einem Interview vor zu weit gehender Regulierung warnen: „Wir sollten mit der Bankenschelte und den Schuldzuweisungen aufhören. Am Ende könnten wir alle die Verlierer sein, wenn wir keine effizienten Märkte mehr haben“. Ackermanns Argument: Gesetze erschweren Investitionen, kosten damit Geld und gefährden Arbeitsplätze.


Zu denen, die den Kopf über die vermeintliche Regulierungsorgie schütteln, gehört auch Hans Wagener. Der Senior Partner der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) findet die neuesten Vorschläge aus den USA und Frankreich „abstrus“. Gegen „einfache zielgerechte Regulierung“ hat Wagener nichts einzuwenden. Er sagt: „Leitplanken müssen sein, die bestehenden noch höher zu machen, wird jedoch nichts ändern, weil sie zum Teil an den falschen Stellen stehen“. Anstatt Banken bestimmte Geschäftsmodelle zu verbieten, hält er es für besser, beispielsweise Ratingagenturen einer Aufsicht zu unterstellen. Wagener regt an, dass die Banken selbst Vorschläge für die weitere Regulierung machen sollten. „Es wäre gut, wenn sich die deutschen Bankenverbände zusammensetzten und ein Expertengremium benennen. Dieses könnte der Politik dann praktikable Anregungen unterbreiten.“


Dass beim Weltwirtschaftsforum solch harte Gegensätze auftreten und obendrein öffentlich ausgetragen werden, ist ein Novum. Normalerweise wird Klaus Schwabs Anspruch, sich gegenseitig demonstrativ die Hände zu reichen, nicht in Frage gestellt. In diesem Sinne gibt es in Davos traditionell vier Typen von Veranstaltungen.


Da sind zunächst die geheimen oder mindestens nicht öffentlichen Business- und Polittreffen, die für viele Vorstände den eigentlichen Anlass der Reise in die Graubündener Alpen darstellen. Diese finden zum Beispiel statt im sogenannten „Thought“-Café von PwC im Keller des Hotels Steigenberger-Belvedere. Den rustikalen Weinkeller hat man mit weißem Stoff zeltartig ausgekleidet, mit niedrigen Plexiglastischen und weißen Ledersofas ausgestattet. An der Bar sitzt ohne Krawatte Commerzbank-Chef Martin Blessing und tippt auf seinem Blackberry herum. Herein kommt Klaus Kleinfeld (früher Siemens, jetzt Alcoa) und zieht sich mit drei Gesprächspartnern in eine Nische zurück. Davor warnt ein Schild: „meeting in progress“.


In die zweite Kategorie gehören die öffentlichen Fundraising-Events und Verkündigungen. Vor hunderten Gästen sagt US-Haiti-Koordinator Bill Clinton: „Für den Transport der Hilfsgüter brauche ich noch 100 Lastwagen, am besten gestern“. Er wird sie bekommen. Besonders in Davos ist den Managern ihr gutes Gewissen etwas wert. Bill und Melinda Gates sind dagegen nicht auf fremdes Geld angewiesen, sie haben genug eigenes. Zehn Milliarden Dollar zusätzlich soll ihre Stiftung in die Entwicklung von Impfstoffen für die ärmsten Länder investieren, erklären sie den Journalisten.


Drittens gibt es jede Menge Apres-Ski auf hohem Niveau. Wer Einladungen ergattert hat, kann auf den Partys von McKinsey, Burda oder Google zu Life-Soul bis nachts um drei tanzen. Die Puritanisten gehen eher zu „Frankfurt meets Davos“, um Roland Koch die Hand zu schütteln, Josef Ackermann am Buffet zu beobachten oder RWE-Chef Jürgen Großmann zuzuhören, wie er das traditionelle Skirennen auf dem Zauberberg organisiert hat, das jeweils am letzten Tag des Forums stattfindet.


Für die Masse der semiprominenten Davos-Gäste am wichtigsten freilich sind die Veranstaltungen, die einerseits als Bildungsurlaub, andererseits als weltdemokratischer Diskurs dienen. Unter dem Titel „Die nächste globale Krise“ treffen etwa Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff, Jakob A. Frenkel, Vorstand der US-Bank JPMorgan Chase und Lord Levene, Vorstand der Lloyd´s-Versicherung aufeinander. Die Frage: Was ist die größte Gefahr im kommenden Jahr – Staatsverschuldung oder Überregulierung? Vor laufenden Kameras bittet Maria Bartiromo, die Moderatorin des US-Senders CNBC, die Zuhörer um ihr Votum. Das Ergebnis spiegelt die Spaltung des Forums wieder. 51 Prozent machen sich mehr Sorgen wegen der horrenden Defizite. Die Regulierungsskeptiker sind dagegen mit 49 Prozent in der knappen Minderheit. Vor ein paar Jahren hätte diese Zahl noch 99 Prozent betragen.

« Zurück | Nachrichten »