Die Preise in Europa sinken leicht

Eine geringe Deflation hat das Leben der Bürger etwas gemacht. Anschub für wirtschaftliche Erholung oder gefährliches Krisensymptom?

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Von Hannes Koch

07. Jan. 2015 –

Erstmals seit dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009 sind die Preise im Euro-Raum vermutlich gesunken. Im Dezember 2014 ging das allgemeine Preisniveau im Vergleich zum Dezember 2013 um 0,2 Prozent zurück, schätzte das europäische Statistikamt Eurostat am Mittwoch. Diese leichte Deflation bedeutet, dass das Leben für die Bürger unter dem Strich etwas billiger wird. Wirtschaftswissenschaftler und Politiker streiten nun darüber, ob das gut oder schlecht ist.

 

Der Rückgang beruht laut Eurostat vor allem auf den niedrigen Energiepreisen. Diese sind im Jahresvergleich um 6,3 Prozent gefallen. Wegen des hohen Angebotes auf den Weltmärkten kostet ein Fass Erdöl jetzt weniger als 50 US-Dollar. Vor sechs Monaten war es noch mehr als das Doppelte. Der Effekt ist auch an deutschen Tankstellen zu sehen: Man bekommt den Liter Benzin nun beispielsweise für 1,20 Euro, nicht für 1,70 Euro.

 

Auch unverarbeitete Nahrungsmittel wurden im europäischen Durchschnitt etwas billiger. Bei allen übrigen Waren blieben die Preise stabil oder stiegen leicht – verarbeitete Lebensmittel, Alkohol und Tabak wurden insgesamt beispielsweise um 0,6 Prozent teurer, Dienstleistungen um 1,2 Prozent.

 

Moderate Preissteigerungen werden meistens für gut gehalten, weil Unternehmen dann investieren und Arbeitsplätze schaffen – unter anderem wegen der Erwartung höherer Erlöse. Deshalb verfolgt die Europäische Zentralbank (EZB) auch das Ziel einer Preissteigerung (Inflation) von jährlich zwei Prozent. Die Angst vor der Deflation begründet sich dagegen aus der Katastrophe nach der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre. Die massiv sinkenden Preise führten damals zur Massenarbeitslosigkeit und leisteten dem Aufstieg der Nationalsozialisten Vorschub.

 

Die gegenwärtige leichte Deflation hält Ökonom Christoph Weil von der Commerzbank dagegen für völlig ungefährlich. Im Gegenteil: „Die niedrigeren Energiepreise sind ein Segen für die lahmende Konjunktur“, sagt Weil. In dieser Sichtweise lässt die leichte Deflation die Kosten für Unternehmen und Verbraucher sinken. Sie geben deshalb mehr Geld aus. Die Firmen haben mehr zu tun und stellen Leute ein. Durch die sinkenden Preise werden außerdem europäische Produkte auf den Weltmärkten billiger – insgesamt könnte damit das europäische Wachstum steigen und die Krise in Südeuropa schneller ein Ende finden.

 

Die Gegenposition vertritt unter anderem Silke Tober vom gewerkschaftlich orientierten Institut für Makroökonomie (IMK). Sie hält die „sinkende Inflationserwartung“ für problematisch. Begründung: In der Annahme, dass die Preise längere Zeit nicht steigen, könnten Unternehmen Investitionen aufschieben. Das führe zum Abbau von Arbeitsplätzen.

 

Die Ökonomen empfehlen auch unterschiedliche Reaktionen der Europäischen Zentralbank und der Politik. Das IMK unterstützt die Ankündigung von EZB-Präsident Mario Draghi, im Notfall abermals große Geldmengen in die Wirtschaft zu pumpen, damit durch das höhere Geldangebot die Preise wieder anziehen. Außerdem sollten die Bundesregierung und die Europäische Kommission ihre Sparpolitik aufgeben und mehr Mittel in Investitionen stecken. Commerzbank-Ökonom Weil hält diese Maßnahmen für unnötig. Das Bundesfinanzministerium und die EU-Kommission sehen ebenfalls keinen Grund für Besorgnis.

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