• James Galbraith |Foto: Galbraith
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„Die Regierung in Griechenland umgehen“

Ökonom Galbraith rät, EU-Geld an Privathaushalte in Griechenland zu überweisen. Die korrupte Verwaltung würde ausgeschaltet

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Von Hannes Koch

07. Dez. 2012 –

Hannes Koch: Beim Kurswechsel-Kongress der IG Metall in Berlin haben Sie Deutschland zu mehr Solidarität innerhalb Europas aufgefordert. Was würde das praktisch bedeuten?


James Galbraith: Deutschland fertigt sehr gute Maschinen und Fahrzeuge, die die Griechen gerne erwerben. Solche Erfolge sollte man aber moralisch nicht überhöhen. Denn der deutsche Vorsprung in Technik und Arbeitsorganisation hat einen langen Vorlauf. Er ist nicht nur das Verdienst der gegenwärtigen Generation. Umgekehrt haben die Griechen Pech, dass zwei ihrer stärksten Branchen – Schifffahrt und Tourismus – in der Wirtschaftskrise unter die Räder gerieten. Solidarität bedeutet, solche Zusammenhänge anzuerkennen. Solidarität bedeutet aber auch, dass zusätzliches Geld in die ärmeren Staaten fließen muss.


Koch: Ist der Umfang der Hilfe nicht schon groß genug?


Galbraith: Die Europäische Union hat es immer als ihre Aufgabe betrachtet, den Abstand zwischen reichen und armen Staaten zu verringern. Früher gerieten die Mittel in Griechenland und anderen Ländern aber oft in die Hände von schlechten Verwaltungen. Jetzt könnte es der richtige Weg sein, diese Regierungen zu umgehen und Geld direkt an die Bevölkerung auszuzahlen. Dadurch stiege die Konsumnachfrage, und die Wirtschaft hätte eine Chance, sich zu erholen.


Koch: Soll man Lastwagen mit Geldscheinen in die griechischen Dörfer schicken?


Galbraith: Die Europäer sollten darüber nachdenken, ein gemeinsames öffentliches System der sozialen Sicherung aufzubauen. Brüssel könnte die Mittel direkt auf die Konten der Privathaushalte in Griechenland und anderen Ländern überweisen. Starten ließe sich mit Zahlungen an die Arbeitslosen und die Rentner.


Koch: Die griechische Regierung wird nicht begeistert sein, wenn sie von Brüssel ausgeschaltet wird. Die deutsche Bundesregierung würde sich ebenfalls verweigern, weil sie ihre nationalstaatlichen Kompetenzen in Gefahr sieht. Und die Bevölkerung in Holland, Finnland und Deutschland fragt schon heute: Wer bezahlt diese Überweisungen?


Galbraith: Was würden Rentner in Griechenland oder Portugal mit ihrem zusätzlichem Geld anfangen, wenn man einen europäischen Mechanismus der sozialen Sicherung aufbaut? Sie würden beispielsweise Pflegepersonal und andere Hilfskräfte beschäftigen. Dadurch sinkt die Arbeitslosigkeit, der Staat nimmt mehr Steuern ein. Die soziale Sicherung finanziert sich zum guten Teil selbst. Um das System zu starten, müssten allerdings zunächst Milliarden Euro an die Menschen in den südlichen EU-Staaten überwiesen werden. Sollten sich die deutschen Steuerzahlen darüber Sorgen machen? Nein, Deutschland pflegt damit auch die Märkte, die ihm seine Autos abkaufen.


Koch: Sie warnen vor der zunehmenden sozialen Ungleichheit innerhalb Europas, die die aktuelle Art der Krisenbewältigung mit sich bringt. Warum erscheint Ihnen diese Entwicklung gefährlich?


Galbraith: Gegenwärtig versucht die Eurogruppe die Krise in den Griff zu bekommen, indem die verschuldeten Peripherie-Staaten ihre Staatsausgaben und sozialen Sicherungssysteme zusammenstreichen. Die daraus resultierende Verarmung fördert die Auswanderung in die wohlhabenden Staaten. Gerade die leistungsstarken Beschäftigten werden die verschuldeten Länder verlassen, wodurch die Qualität der öffentlichen Verwaltung und anderer Dienstleistungen dort noch weiter abnimmt. Dadurch steigt der Stress, der wegen des sinkenden Lebensstandards ohnehin schon hoch ist. Das Ergebnis ist zunehmende Gewalt, vornehmlich gegen Immigranten. Denken Sie an die Partei „Goldene Morgenröte“ in Griechenland, die Einwanderer aus Nordafrika und dem Nahen Osten terrorisiert. Ein solcher Prozess kann sich sehr schnell ausbreiten und zum völligen Zusammenbruch einer staatlichen Ordnung führen.


Koch: Sie halten es für möglich, dass es in Europa erneut zu Ereignissen ähnlich dem jugoslawischen Bürgerkrieg kommt. Ist das nicht übertrieben?


Galbraith: Man kann jetzt in Europa wieder Auflösungserscheinungen von Staaten beobachten. Sehen Sie sich Spanien an. Während der ökonomische Druck auf das Land steigt, will die reichste Region, Katalonien, aus der Nation aussteigen. Eine Ursache dafür ist die zunehmende Ungleichheit zwischen den Regionen des Landes. Jugoslawien war ebenfalls eine moderne Gesellschaft, die unter anderem unter großem ökonomischen Stress stand. Dieses Beispiel sollten sich die Europäer vor Augen halten.


Bio-Kasten

Prof. James K. Galbraith (60) lehrt und forscht an der Universität von Austin, Texas. Das Spezialgebiet des Ökonomen ist die soziale Ungleichheit. In diesem Jahr brachte er das Buch „Ungleichheit und Instabilität“ heraus. Er ist ein Verfechter linksliberaler, nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik. Sein Vater war Ökonom John Kenneth Galbraith, der unter anderem US-Präsident John F. Kennedy beriet.

Info-Kasten

Gutes Leben

Unter dem Titel „Kurswechsel für ein gutes Leben“ veranstaltete die Industriegewerkschaft Metall von Mittwoch bis Freitag ihren Kongress in Berlin. Thema: Welche Politik dient national und international der Mehrheit der Bevölkerung und nicht nur wenigen Kapitalbesitzern? Bei der mit Politikern wie Brasiliens Ex-Präsident Lula und Ökonomen wie Nouriel Roubini prominent besetzten Veranstaltung bereitete sich die IG Metall auch auf die Bundestagwahl 2013 vor.

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