Die Reste landen in der Tonne
Jährlich landen elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll / Kampagne soll sorgsameren Umgang mit Nahrungsmitteln fördern
13. Mär. 2012 –
In Deutschland landen jährlich rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel in der Mülltonne. Zwei Drittel des Abfalls könnten zumindest teilweise vermieden werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Stuttgart, die das Bundesverbraucherministerium (BMELV) angefordert hat. „Es wird zu viel weggeworfen, wertlos gemacht, vernichtet“, kritisiert Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU), „es ist Zeit zum Umdenken.“ Bisherige Schätzungen gingen von noch größeren Mengen an verschwendeten Nahrungsmitteln aus. Doch die nun offizielle Schätzung offenbart einen gewaltigen Überfluss. Die Lebensmittel würden 275.000 LKW füllen. Stoßstange an Stoßstange würde die Reihe der Lastwagen von Berlin bis nach Lissabon und zurück reichen.
„Im Schnitt wirft jeder Bundesbürger pro Jahr 81,6 Kilogramm weg“, sagt Aigner. Der sorglose Umgang mit den Resten im Kühlschrank oder der Vorratskammer kostet die Konsumenten auch viel Geld. Bei einem Haushalt mit vier Personen summiert sich der Wert des Abfalls auf 940 Euro im Jahr. Auf die gesamte Bevölkerung bezogen landen Waren für über 21 Milliarden Euro in der Tonne. Am häufigsten wandern Obst und Gemüse im Abfalleimer. Auf sie entfällt fast die Hälfte des vermeidbaren Mülls in den Privathaushalten.
Der größte Teil der weggeworfenen Äpfel, Gurken oder Wurstreste stammt von den Endverbrauchern. Sie sind für 61 Prozent der Verschwendung verantwortlich. Auf Großverbraucher wie Kantinen, Krankenhäuser oder die Gastronomie entfallen 17 Prozent der nicht verwendeten Speisen. Ebenso hoch ist der Anteil der Ernährungsindustrie. Mit fünf Prozent steht der Handel an letzter Stelle der Wegwerfrangliste.
Aigner hält die Verschwendung gleichermaßen für ein wirtschaftliches wie ein moralisches Problem. Rein rechnerisch würde die Menge der weltweit produzierten Lebensmittel für alle Menschen ausreichen. Doch die Verteilung stimmt nicht. 900 Millionen Menschen leiden daher an Hunger. Mit einer Kampagne „zu gut für die Tonne“ will die Ministerin nun für einen bewussteren Umgang mit Nahrungsmitteln werben. Ab der kommenden Woche will der Handel einem der Gründe für das entsorgen noch brauchbarer Lebensmittel mit einer Informationskampagne zuleibe rücken. Die Kunden sollen über die Bedeutung des Mindesthaltbarkeitsdatums aufgeklärt werden. Denn die Waren sind noch lange nicht ungenießbar, nur weil das aufgedruckte Datum erreicht ist. Viele Verbraucher lassen dann aber schon die Finger davon.
Konkrete Vorgaben will Aigner weder den Verarbeitern noch den Endverbrauchern machen. Sie setzt auf das Eigeninteresse der Wirtschaft an möglichst wenig Ausschuss und will Verbraucher mit einer groß angelegten Informationskampagne aufklären. Außerdem soll die EU Lebensmittelnormen abschaffen, die zum Beispiel die Mindestgröße von Äpfeln oder das Aussehen von Tomaten vorschreiben.
Die Opposition hält wenig von Aigners Plänen. „Mit den geplanten Maßnahmen werden auch in fünf Jahren nicht weniger Lebensmittel verschwendet“, kritisiert die grüne Ernährungsexpertin Bärbel Höhn. Die Regierung müsse den Fleischkonsum reduzieren und die Weichen auf eine ressourcenschonende Landwirtschaft stellen, wenn das Hungerproblem gelöst werden soll. Die SPD wirft der CSU-Politikerin einen zu späten Start der Aktivitäten gegen Lebensmittelverschwendung vor.