Die Risikospezialisten

Scope nimmt es mit Moody’s und S&P auf

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Von Björn Hartmann

02. Dez. 2023 –

Hier aus dem neunten Stock geht der Blick weit über den derzeit winterlichen Tiergarten Richtung Regierungsviertel. In den Büroräumen nahe des Potsdamer Platzes in Berlin sitzt die Zentrale der Ratingagentur Scope, die es mit den US-Größen S&P, Moody’s und Fitch aufnehmen will. Das Unternehmen hat gerade die entscheidende Nachricht bekommen: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Berliner anerkannt – als einzige Ratingagentur aus Europa.

Wer ein Haus kaufen möchte, beschafft sich einen Kredit bei der Bank. Unternehmen, die eine Fabrik bauen wollen, können sich Geld auch bei Investoren holen. Letztere haben aber meist keinen große Abteilung, die ein Unternehmen genau durchleuchten kann. Das übernehmen Ratingagenturen. „Eine Ratingagentur geht ähnlich vor, wie die Kreditabteilung einer Bank“, sagt André Fischer von Scope. „Sie beantwortet die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Schuldner seine Schulden zurückzahlt.“

Das erinnert an die Arbeit der Auskunftei Schufa, die die Bonität von Privatpersonen bewertet. Nur, dass die Ratingagenturen, überwacht durch die europäische Wertpapieraufsicht ESMA, viel offener arbeiten. Das betrifft, welche Kriterien sie berücksichtigen und wie die Urteile entstehen. In ein Rating fließen Zahlen ein wie Gewinn, Umsatz und Schulden. Bewertet wird aber auch, wie ein Unternehmen geführt wird. Und vor allem, wie es sich die Zukunft vorstellt und wie die Ziele erreicht werden sollen.

Bisher dominieren die drei großen US-Agenturen S&P, Moody’s und Fitch den Markt auch in Europa. Sie sind bereits bei der EZB anerkannt. Ihre Ratings bekommen damit eine Art offiziellen Status. Schon seit Jahren gibt es Kritik. Denn die Amerikaner orientieren sich bei ihren Bewertungen an US-Unternehmen. Dort ist zum Beispiel die Rechnungslegung anders. „Die starre US-zentrische Sichtweise kann das Risikoprofil von EU-Firmen verzerren“, sagt Fischer. „Wir nehmen eine europäische Perspektive ein und berücksichtigen regionale Besonderheiten, um zu einer präziseren Einschätzung der Kreditrisiken zu gelangen.“

Es dauerte, bis die EZB Scope akzeptierte. Drei Jahre lang mussten die Berliner auf eigene Kosten einen vorgegebenen Teil des Marktes bewerten, um zu zeigen, dass sie es können. Dann folgte die offizielle Bewerbung bei der EZB und eineinhalb Jahre Prüfung – der Ratings, der IT, der Regeltreue im Unternehmen. „Die Eintrittsbarrieren in den Ratingmarkt sind hoch“, sagt Fischer. „Wir haben Jahre gearbeitet und investiert, um die Voraussetzungen für echten Wettbewerb am Ratingmarkt zu schaffen.“

Der Wettbewerb wird nicht einfach. Bei der Aufsichtsbehörde ESMA sind derzeit 20 Ratingagenturen zugelassen, den größten Marktanteil hatten 2022 S&P mit 50,13 Prozent, Moody’s mit 23,79 Prozent und Fitch mit 10,05 Prozent. Scope kam auf 1,31 Prozent, Tendenz steigend. Die Berliner rechnen sich jetzt gute Chancen aus. „Viele Emittenten hatten schon vor Jahren Interesse an einem Scope Rating, aber durch die fehlende Anerkennung der EZB hatten unsere Ratings nicht den gleichen Wert, wie ihn die Ratings der amerikanischen Agenturen bieten“, sagt Fischer. „Dieser kleine, aber sehr relevante Unterschied ist nun verschwunden.“

Üblicherweise wendet sich ein Unternehmen an eine Ratingagentur und lässt sich bewerten. Dafür zahlt es. Scope bewertet wie die anderen großen Agenturen auch Länder – in der Regel ohne Auftrag und unbezahlt. Zum einen ist das wichtig fürs Ansehen, zum anderen beeinflusst die Lage in einem Land auch die Ratings der Unternehmen vor Ort. So ist zum Beispiel die Frage, ob ein Staat in der Lage ist, im Notfall eine Bank zu retten, was wiederum wichtig ist für die Bewertung der Bank.

Wie die anderen Ratingagenturen geht Scope nach einem Schema vor, dass von AAA für die beste Bonität bis zu D für Ramsch geht. Dazwischen gibt es feine Abstufungen wie A+ oder CC-. Je schlechter die Bewertung, desto schwerer und teurer wird es für Firmen oder Länder, Geld zu beschaffen. Das Rating ist nicht nur wichtig die, die Geld benötigt. In der Regel wird ein Schuldschein, etwa eine Anleihe, später an der Börse gehandelt. Auch da entscheidet die Höhe des Ausfallrisikos über den Wert. Dabei gilt immer: Ohne Rating wird es in der Regel teuer. Und: „Ein Rating ist eine Meinungsäußerung einer Ratingagentur“, sagt Fischer. „Investoren können sie für ihre Investmententscheidungen heranziehen, müssen es aber nicht.“

Scope startete 2001 in Berlin, begann Fonds zu bewerten. 2011, an die Finanzkrise schloss sich gerade die Euro-Krise an, stiegen die Berliner dann ins Geschäft mit Kreditratings ein. Inzwischen beschäftigt Scope rund 300 Mitarbeiter, mehr als die Hälfte sind Analysten. Neben der Zentrale in Berlin gibt es weitere Büros an den wichtigen Börsenplätzen in Frankfurt, London und Madrid, in Mailand, Oslo und Paris.

Über Umsatz, Gewinn oder Verlust schweigt sich das Unternehmen aus. In den vergangenen Jahren hat es allerdings kräftig in das Analystenteam investiert. Solche Spezialisten sind teuer. Ebenso die IT, die unter anderem wegen der Finanzaufsicht besonders sicher sein muss. Und auch das Zulassungsverfahren bei der EZB hat einiges gekostet.

Zahlreiche Investoren steckten Geld in die Ratingagentur, etwa die Versicherer Axa aus Paris, Signal Iduna (Dortmund, Hamburg), Talanx (Hannover) und die Sparkassen-Versicherungsgruppe. Geld kam auch von der Bankengruppe BPCE aus Paris und der RAG-Stiftung in Essen. Ankerinvestoren sind Gründer Florian Schoeller und Stefan Quandt, laut „Forbes“-Magazin vierreichster Deutscher. Quandt hält unter anderem rund ein Viertel der BMW-Aktien.

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