Die Schulnote verliert an Wert

Das Anforderungsprofil der ausbildenden Betriebe verändert sich / Chancen für schlechte Schüler könnten dadurch steigen

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Von Wolfgang Mulke

08. Aug. 2013 –

Viele Fahrgäste sind auf die Deutsche Bahn nicht gut zu sprechen. Bei den Schulabgängern ist der Konzern dagegen recht beliebt. Um die 4.000 Ausbildungsplätze, die das Unternehmen in diesem Jahr anbietet, bewerben sich rund 50.000 Kandidaten. Bei der Auswahl geeigneten Personals geht die Bahn nun neue Wege. Schulnoten oder Abschlüsse sind dem Unternehmen nicht mehr wichtig. „Wir wollen nicht den Besten finden, sondern diejenigen, die gut zu den Anforderungen passen“, sagt Christof Beutgen. Der Psychologe ist leitet die Mitarbeiterentwicklung bei der Bahn. Der Clou: Alle Bewerber erhalten die gleiche Chance.

 

Dafür hat Beutgen mit Expertenhilfe einen Onlinetest entwickelt, an dem jeder Kandidat teilnehmen kann. So werden die für den jeweiligen Beruf wichtigen Kenntnisse überprüft. Dazu gehören zum Beispiel Aufgaben, die das räumliche Vorstellungsvermögen testen, die für die Wartungsarbeiten bei den Zügen unerlässlich ist. Der Test kann in aller Ruhe zuhause am PC durchlaufen werden und dauert je nach Ausbildungswunsch bis zu 110 Minuten. Viele der Elemente sind aus Intelligenztests bekannt. Das Ergebnis sagt mehr aus als die Schulnote, die früher das alleinige Kritierium für die Auswahl war. Denn das Anforderungsprofil geht mittlerweile auch bei der Bahn über das Schulwissen hinaus. „Für viele Jobs benötigt man heute Fähigkeiten, die früher nicht vorhanden sein mussten“, erläutert Beutgen. Dazu gehören zum Beispiel IT-Kenntnisse oder die Fähigkeit zur Teamarbeit. Das eröffnet all jenen mehr Hoffnung, die in der Schule weniger Leistung brachten. „Auch ein schlechter Hauptschüler kann auf eine Stelle genau passen“, stellt der Psychologe fest.

 

Viele anderer Unternehmen können sich nicht über eine so hohe Bewerberzahl freuen. 70.000 Lehrstellen blieben im vergangenen Jahr unbesetzt. 2013 wird es auch deshalb weniger Angebote geben, wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) vermutet. Momentan sind bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) noch 147.000 freie Ausbildungsplätze gemeldet. Dem Angebot stehen 200.000 Schulabgänger gegenüber. In den reichen Südländern werden mehr Stellen angeboten als nachgefragt. In Nordrhein-Westfalen und Hessen ist es umgekehrt.

 

Die Agentur beobachtet, dass insbesondere Handwerksbetriebe umdenken. Sie finden oft schwer Nachwuchs und schrauben ihre Anforderungen an die Azubis deshalb zurück. Laut einer Befragung des DIHK nimmt mittlerweile jeder achte Betrieb seine Ansprüche an die Bewerber zurück. In Ostdeutschland sind es sogar fast 30 Prozent, weil dort der demografische Wandel besonders stark zuschlägt. Nach Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) tun die Firmen aber noch viel zu wenig, um insbesondere den Hauptschülern den Start ins Berufsleben zu erleichtern. Doch es tut sich schon etwas. Laut BA bieten immer mehr Unternehmen Nachhilfeunterricht an, wenn die schulischen Kenntnisse für die Lehrstelle nicht ausreichen.

 

Bei der Suche nach geeigneten Kandidaten auch neue Zielgruppen ins Visier genommen. Studienabbrecher und Eltern gehören dazu. Gerade für junge Mütter und Väter kommt eine neue Variante der Lehre in Frage, die Teilzeitausbildung. Große Unternehmen wie die Telekom oder die Bahn bieten sie an. Es gibt zwei Varianten davon. Die erste sieht eine Wochenarbeitszeit von 23 bis 30 Stunden inklusive der Berufsschulzeit vor und dauert genauso lange wie die reguläre Ausbildung. Die zweite Form sieht wenigstens 20 Stunden in der Woche vor, dauert dafür aber bis zu einem Jahr länger als üblich.

 

Die neue Strategie der Bahn haben auch andere Betriebe längst für sich entdeckt. Die Schulnoten verlieren als Auswahlkritierium an Gewicht. „Motivation und Interesse an dem Beruf spielen eine zunehmend wichtige Rolle“, beobachtet Margit Ebbinghaus vom Bundesinstitut für Berufsbildung.

 

 

 

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