Die schwere Euro-Entscheidung

Höhlt der ESM die Rechte des Bundestages aus, wie die Kläger vor dem Verfassungsgericht befürchten?

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Von Hannes Koch

11. Sep. 2012 –

Wenn am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht über die Euro-Rettung urteilt, stehen grundsätzliche Fragen unserer Demokratie zur Debatte. Herta Däubler-Gmelin (SPD), Peter Gauweiler (CSU) sowie weitere Kläger gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und den Fiskalpakt sagen, dass diese Verträge die Rechte des Bundestages in verfassungswidriger Weise beschneiden. Unsere Zeitung stellt die wichtigsten Argumente und Gegenargumente dar.  

Argument 1
Das Budgetrecht des Bundestages wird ausgehebelt
Die Kläger erklären, das deutsche Parlament könne sein Königsrecht nicht mehr uneingeschränkt wahrnehmen, wenn der ESM einmal eingerichtet ist. Sie weisen daraufhin, dass Deutschland anderen Euro-Staaten dann mit bis zu 190 Milliarden Euro helfen muss. Vermutlich reiche diese Summe noch nicht einmal aus. Die potenzielle Belastung sei damit so groß, dass der Bundestags im Extremfall nicht mehr frei über den Bundeshaushalt entscheiden könne. Dadurch wird nicht nur das wichtigste Recht des Parlamentes, sondern auch das Wahlrecht der Bürger ausgehöhlt, sagen die Kläger.

Contra
Christian Calliess, Europarechtler an der Freien Universität Berlin, hält dagegen: „Gegen den Willen des Bundestages kann der ESM keine Beschlüsse fassen.“ Im deutschen ESM-Gesetz und im ESM-Finanzierungsgesetz ist festgelegt, dass das Parlament zustimmen muss, wenn der Fonds Geld ausgeben oder seine Mittel erhöhen will. Ebenso erklärt Michael Meister, Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag: Ohne den Bundestag läuft nichts.

Argument 2
Der ESM kann gegen Deutschland entscheiden
Die Kläger befürchten, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble oder sein Staatssekretär könnten im Gouverneursrat, dem obersten Entscheidungsgremium des ESM, von den anderen Ländern überstimmt werden. Das fatale Ergebnis: Deutschland müsste gegen seinen Willen mehr bezahlen.

Contra
Die Gouverneure, darunter der deutsche Vertreter, entscheiden „im Einvernehmen“, steht im ESM-Vertrag. Das bedeutet Einstimmigkeit. Bei sehr dringenden Entscheidungen reicht allerdings eine Kapitalmehrheit von 85 Prozent. Da Deutschland jedoch 27 Prozent der ESM-Mittel stellt, besteht ein deutsches Vetorecht.

Argument 3
Deutschland wird durch den ausufernden ESM finanziell überfordert, argwöhnen die Kläger. Die befürchtete Logik: Wir geben, der Süden hält die Hand auf. Am Ende sind auch wir pleite.

Contra
Verfassungsjurist Franz Mayer (Uni Bielefeld) sieht das anders: Die deutsche Haftung sei „unter allen Umständen“ begrenzt - so stehe es im ESM-Vertrag. „Diese Summe steigt erst, wenn man den Vertrag ändert. Das aber geht nur mit Zustimmung der Bundesregierung und des Bundestages“, sagt Mayer.

Argument 4
Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist bislang ausgeschlossen, dass ein Euro-Staat einem anderen finanziell aus der Patsche hilft. Jedes Land ist für seine Schulden selbst verantwortlich. Das ändere sich jetzt mit dem ESM, argumentieren die Kläger. Im neuen Artikel 136 Absatz 3 des AEUV heiße es bald: „Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“ Das bedeutet: Gegenseitige Hilfe und Haftungsübernahme ist neuerdings möglich.

Contra:
Das Verbot der Schuldenübernahme wird nicht komplett abgeräumt, sondern nur ausnahmsweise durchbrochen, sagt EU-Jurist Calliess. Die gegenseitige Haftung wird zudem an strenge Auflagen gebunden, beispielsweise Sparmaßnahmen in den südlichen Euro-Ländern. Aber es stimmt: Mit dem ESM verpflichten sich die wohlhabenden Euro-Staaten zu mehr finanzieller Solidarität als früher.

Kasten
ESM und Fiskalpakt
Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM soll 700 Milliarden Euro einsammeln, um Hilfen für Euro-Staaten zu finanzieren, die sich am Markt nicht mehr zu erträglichen Kosten verschulden können.
Mit dem Fiskalvertrag verpflichten sich alle EU-Staaten außer Großbritannien und Tschechien, ihre Schulden zu reduzieren. Die jährliche Neuverschuldung soll grundsätzlich 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht übersteigen. Sonst können Strafen fällig werden.

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