Die soziale Kluft wächst

Die Hälfte der Bevölkerung verliert Anteile am Wohlstand, die zehn Prozent Reichsten gewinnen stark

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Von Hannes Koch

18. Sep. 2012 –

Die Mitarbeiter von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) machen sich Sorgen. „Die Bundesregierung prüft, ob und wie privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann“, heißt es im Entwurf für den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht. Diese Empfehlung beruht auf einem ernsten Befund: Sowohl die Einkommen, als auch die Vermögen der Deutschen entwickeln sich weiter auseinander.

Die schlichte Botschaft des Berichts für die Jahre 2007 bis 2011 lautet: Die Armen werden ärmer, die Reichen reicher. SPD, Grüne und Linke fordern als Gegenmaßnahmen deshalb höhere Steuern besonders für die Eigentümer großer Vermögen. Ob die Arbeitsministerin diese Diskussion in die Koalition tragen, mochte ihr Ministerium am Dienstag nicht kommentieren. Mit solchen Ideen auseinandersetzen muss sich die Regierurng dennoch bis zur Kabinettssitzung Mitte November, bei der sie den überarbeiteten Entwurf des Berichts beschließen will.

Alle vier Jahre veröffentlicht die Regierung eine solche Studie. Ein zentraler Befund der Untersuchung, die dieser Zeitung vorliegt: Für die ärmsten 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten lagen die Einkommen 2010 bis zu neun Prozent niedriger als im Jahr 2000. Weitere 20 Prozent konnten ihre Einkommen halten oder leicht verbessern. Deutliche Steigerungen verbuchten dagegen die wohlhabensten 40 Prozent der Erwerbstätigen. Sie erwirtschafteten Einkommenszuwächse von teilweise über fünf Prozent.     

Als eine Ursache dieser Entwicklung benennt das Arbeitsministerium die Ausdehnung der „atypischen Beschäftigung“ im vergangenen Jahrzehnt. Mittlerweile über ein Viertel der Beschäftigten arbeiten auf Stellen, die befristet sind, eine geringe Stundenzahl beinhalten oder nur einen Niedriglohn bescheren.

Hier machen sich die Sozialreformen, die Hartz-Gesetze und die verstärkte Leiharbeit bemerkbar. Selbst angesichts der augenblicklich vergleichsweise guten Entwicklung am Arbeitsmarkt würde etwa die Hälfte der Beschäftigten nicht von Lohnsteigerungen profitieren, sagt Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Der seit etwa zehn Jahren anhaltende Druck auf die Erwerbseinkommen trage dazu bei, dass sich Arm und Reich auseinanderentwickelten, so Grabka.

Als Gegenmaßnahmen propagiert von der Leyen einen „allgemeinen, verbindlichen und angemessenen“ Mindestlohn und die Zuschussrente, die niedrige Alterseinkommen aufbessern soll. Außerdem setzt sich die Ministerin dafür ein, „atypische Beschäftigungsverhältnisse zu überprüfen“. Was das konkret heißt, lässt der Bericht allerdings offen.

Ingesamt befürwortet von der Leyen Maßnahmen, um die soziale Mobilität durch Bildung zu erhöhen. Arme Leute sollen besser aufsteigen können. Dem dient beispielsweise eine höhere Zahl von Kitaplätze für Kleinkinder und Grundschulen mit Ganztagsbetreuung.

Ähnlich wie bei den Einkommen ist die zunehmende soziale Polarisierung auch bei den Vermögen zu beobachten. Während die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung 1998 noch vier Prozent aller Vermögen diesen Landes besaß, war es 2008 nur noch ein Prozent. Der Anteil der Mittelschicht ist von 52 auf 46 Prozent zurückgegangen. In umgekehrter Richtung vollzog sich die Entwicklung bei großen Vermögen. Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung konnten ihren Anteil von 45 auf 53 Prozent steigern.

Angesichts solcher Zahlen waren die Kritiker schnell zur Stelle. Im Vorgriff auf den Wahlkampf des kommenden Jahres warf SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles der Koalition vor, nicht genug gegen die „zunehmende Spaltung unserer Gesellschaft“ zu unternehmen. Das Bündnis „Umfairteilen“, dem unter anderem Gewerkschaften und der Paritätische Wohlfahrtsverband angehören, forderte Umverteilung von Reich zu Arm mittels der Steuerpolitik.

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