Die Stunde der Wahrheit für viele Bausparer

Der Bundesgerichtshof verhandelt an diesem Dienstag die strittigen Kündigungen lukrativer Bausparverträge durch die Bausparkassen. Eine Niederlage würde die Branche hart treffen. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.

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Von Wolfgang Mulke

22. Feb. 2017 –

 

Worüber urteilt der Bundesgerichtshof (BGH)?

Seit einigen Jahren kündigen einige Bausparkassen ihren Kunden Verträge, die eine vergleichsweise hohe Verzinsung vorsehen. Denn es gelingt den Instituten nicht mehr, diese Zusagen auch selbst durch die Vergabe von Darlehen oder Anlagen auf den Kapitalmärkten zu erwirtschaften. Umgekehrt lohnt es sich für Bausparer, die Verträge weiter laufen zu lassen, ohne das Baudarlehen auch tatsächlich noch in Anspruch zu nehmen. Denn sie sind gut verzinst. Die Bausparkassen sehen darin eine Zweckentfremdung. Vor Gericht fechten nun von einer Kündigung betroffene Kunden die Rechtmäßigkeit der Vertragsauflösung an. Die bisherigen Urteile unterer Instanzen fielen eher zugunsten der Bausparkassen aus. Im Fall, den der BGH nun entscheidet, hatten Stuttgarter Richter jedoch für die Kläger entschieden. In Karlsruhe wird nun ein Grundsatzurteil in diesem Streit erwartet.

 

Wie viele Bausparer sind von Kündigungen betroffen?

Die Zahl der Kündigungen wird auf rund 200.000 geschätzt. Das ist angesichts von mehr als 29 Millionen Bausparverträgen nur eine Minderheit. Etwa 1.000 Verbraucher sind gegen das Vorgehen ihre Bausparkasse bisher vor Gericht gezogen.

 

Wie funktionieren Bausparverträge?

Bausparen ist ein Instrument zu einer preisgünstigen Finanzierung eines Hauses oder einer Wohnung. Die Kunden schließen einen Vertrag über eine Bausparsumme ihrer Wahl ab, zum Beispiel 40.000 Euro. Danach sparen sie einen Teil dieser Summe an. Hat der Sparer 40 Prozent der Bausparsumme aufgebracht, wird das Darlehen zuteilungsreif. Der Kunde kann die Differenz zwischen seinem eigenem Geld und der gesamten Bausparsumme als Darlehen abrufen.

 

Sind alle Kündigungen umstritten?

Es gibt zwei verschiedene Musterfälle. Im ersten Modell sind die Kündigungen wirksam. Hier hat der Kunde bereits so viel selbst eingezahlt, dass die volle Bausparsumme erreicht wurde. Da der gesamte Betrag ausgeschöpft ist, kann er auch kein Darlehen mehr erhalten. In diesem Fall belässt er sein Vermögen also nur deshalb bei seinem Institut, weil es dort mehr Zinsen bringt als anderswo. „Die Bausparkasse darf übersparte Verträge durch Kündigung beenden“, sagt Britta Beate Schön vom Verbraucherportal Finanztip.de. „Für einen ewigen Guthabenzins waren diese Verträge nie gedacht“, verteidigt der Sprecher des Verbands der privaten Bausparkassen, Alexander Nothaft, die Haltung der Unternehmen.

 

Wann haben die Verbraucher eine Aussicht auf eine erfolgreiche Abwehr der Kündigung?

Es gibt eine zweite Fallkonstellation, wie das folgende Beispiel zeigt: Kundin Meier hat von ihrer Bausparsumme über 40.000 Euro bereits 25.000 Euro angespart. Sie könnte nun ein Darlehen über 15.000 Euro erhalten. Nun zahlt Frau Meier jahrelang weder weiter etwas ein, noch ruft sie den Kredit ab. Ihre Bausparkasse will sie nun loswerden. Die Institute berufen sich in diesem Fall auf ein gesetzliches Kündigungsrecht, dass Darlehensnehmern zehn Jahre nach dem Empfang der Leistung eine Vertragsauslösung erlaubt. Sie sehen sich dabei selbst als Darlehensnehmer, weil sie für die Kundeneinlage ja Zinsen bezahlen.

 

Was sagen Verbraucherschützer?

Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg widerspricht den Argumenten der Institute. So hätten die Bausparkassen lange damit geworben, dass die Guthaben bei ihnen eine gute Geldanlage darstellen. Von einer Zweckentfremdung könne demnach nicht gesprochen werden, wenn ein Kunde diese Verträge nur zu Geldanlage nutzen will. Und einer Kündigung nach der Zehnjahresfrist halten die Verbraucherschützer entgegen, dass die vereinbarte Bausparsumme noch nicht erreicht worden sei, der Kunde also immer noch ein Darlehen abrufen könnte.

 

Worum ging es im Stuttgarter Fall, der nun vom BGH entschieden wird?

Die Bausparkasse Wüstenrot hatte einer Kundin den Vertrag gekündigt, nachdem sie ihr angespartes Geld 22 Jahre lang auf dem Konto ließ und dafür jährlich drei Prozent Zinsen gutgeschrieben bekam. Der zuständige Richter am Oberlandesgericht stellte vor einem Jahr fest, dass die Kündigung unrechtmäßig war, weil die Kundin die Möglichkeit haben muss, ihr Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen. Wüstenrot zog daraufhin vor dem BGH.

 

Wie sollten sich Kunden verhalten, wenn sie im Briefkasten eine Kündigung finden?

Finanzexpertin Schön rät zu einem Widerspruch gegen eine Vertragsauflösung. „Lehnt die Bausparkasse den Widerspruch gegen die Kündigung ab, bleibt dem Bausparer nur eine so genannte Feststellungsklage“, erläutert sie. Diese Verfahren werden in der Regel vor einem Landgericht geführt. Dort muss sich ein Kläger von einem Rechtsanwalt vertreten lassen. Womöglich sorgen aber nun die Karlsruher Richter für Klarheit. Ob das Urteil noch an diesem Dienstag ergeht, ist offen.

 

Welche Folgen hätte eine Niederlage für die Bausparkassen?

Die Branche leidet seit Jahren unter der Niedrigzinspolitik. Zwischen 2011 und 2015 ging ihr Zinsüberschuss um 16 Prozent auf noch 2,2 Milliarden Euro zurück. Auf der Branche lastet ein erheblicher Druck, auch aufgrund der Zinsverpflichtungen gegenüber Altkunden. Laut Nothaft reagieren die Unternehmen durch Einsparungen beim Personal und den Sachkosten, sowie die Kündigung von Verträgen. Wird diese Möglichkeit nun untersagt, verschärft sich die Situation weiter. Davon rechnet Wüstenrot als beklagte Firma nicht. „Wir gehen von einem positiven Urteil aus“, sagt Sprecher Immo Dehnert.

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