Die tiefgekühlte Hoffnung der Wirtschaft

Am Dienstag wird bei Stuttgart der erste Quantencomputer in Europa enthüllt. Mit ihm startet Deutschland in die Technologiezukunft

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Von Björn Hartmann

16. Jun. 2021 –

Ehningen ist ein beschaulicher Ort, etwas mehr als 9000 Einwohner, Schloss, die Würm plätschert durchs Zentrum. Nichts deutet daraufhin, dass hier, 30-S-Bahn-Minuten vom Stuttgarter Zentrum entfernt, Computergeschichte geschrieben wird. An diesem Dienstag ist es soweit: Der erste funktionstüchtige universelle Quantencomputer außerhalb der USA wird feierlich enthüllt.

Quantum System One heißt das Gerät, das im Kern aussieht wie ein etwas überkandidelter Kronleuchter voller gedrehter goldener Spaghetti. Im Betrieb verschwindet er in einer Säule, die wiederum in einem Würfel mit drei Metern Kantenlänge steckt. Dass der Rechner in Schwaben steht, hat mit IBM zu tun. Und der US-Konzern, der den Rechner entwickelt hat, residiert mit seiner Deutschlandzentrale in Ehningen, wo Quantum Systems One im firmeneigenen Rechenzentrum aufgebaut ist. Nutzen dürfen ihn exklusiv die deutschen Fraunhofer Institute, zunächst bis Ende 2023. Zur Enthüllung zugeschaltet sind unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), IBM-Chef Arvind Krishna. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist vor Ort. Sein Land bezuschusst das Projekt, den größten Teil hat Fraunhofer vorfinanziert.

Der Quantencomputer hat ein enormes Potenzial unter anderem wegen der Art wie er arbeitet. Herkömmliche Geräte müssen alle Möglichkeiten durchrechnen, um zum besten Ergebnis zu kommen, das dauert zum Teil sehr lange und ist bei manchen Aufgaben wegen der schieren Menge an Rechenoperationen nicht möglich. Der Quantencomputer rechnet parallel und ist um ein Vielfaches schneller. Mit ihm lassen sich dann zum Beispiel Natursimulationen erstellen oder komplizierte Logistikketten optimieren oder Milliarden von Zahlungsströmen in Echtzeit steuern, während komplexe regulatorische Vorgaben berücksichtigt werden.

Was recht einfach klingt, ist sehr schwer umzusetzen. Das hat nicht nur mit der komplizierten Quantentheorie zu tun. Eine Schwierigkeit ist technischer Art: Qubits, mit denen Quantum System One rechnet, sind äußerst empfindlich. Sie lieben es sehr kalt, der Computer steckt deshalb in einer Art Kühlschrank, der mit Gasen und technischen Tricks auf eine Temperatur nahe des absoluten Nullpunkts von minus 273 Grad gebracht wird – kälter als das Weltall. Qubits dürfen nicht erschüttert werden, da kann zum Beispiel eine Autobahn in der Nähe einiges durcheinanderbringen. Und auch Strahlung mögen die Recheneinheiten nicht.

Dann sind da noch Schwierigkeiten inhaltlicher Art. Man weiß, was der Rechner kann und wofür er eingesetzt werden könnte, aber nicht genau, wie die Anwendungen gestaltet sein müssen, um die Fähigkeiten des Rechners voll auszunutzen.

Die Fraunhofer Institute wollen deshalb in ihrem Forschungsprojekt gemeinsam mit Unternehmen und Start-ups Anwendungen entwickeln und erforschen. Und es sollen Experten ausgebildet werden. „Nur weil sie Physik oder Informatik studiert haben, können Sie nicht automatisch einen Quantencomputer bedienen“, sagt Prof. Manfred Hauswirth vom Fraunhofer Institut für offene Kommunikationssysteme (Fokus) in Berlin, Co-Koordinator des Projekts. Das Ziel: Deutschland soll weltweit vorn dabei sein bei der neuen Technologie. Und auch einen eigenen Quantencomputer soll es in Deutschland geben, so sieht es die entsprechende Roadmap der Bundesregierung vor. In fünf Jahren soll er fertig sein.

IBM selbst setzt auf eine große weltweite Entwicklergemeinschaft, die gemeinsam an Anwendungen arbeitet und das Gerät laufend verbessert. Der US-Konzern hatte den Quantum System One 2019 vorgestellt. Inzwischen laufen 40 solcher Quantencomputer in einem IBM-Rechenzentrum im US-Bundesstaat New York, wo der Konzern Großrechner entwickelt. Die Rechenleistung dort können auch Firmen nutzen. Daimler etwa stützte sich auf Quantencomputing für eine neue Lithium-Batterie.

Der aktuelle Rechner hat 65 Qubits, IBM schätzt, das im nächsten Jahr bereits ein Gerät mit 128 Qubits laufen wird. 2023 soll es dann mehr als 1000 Qubits haben, ein wahrer Quantensprung. Denn jedes zusätzliche Qubit verdoppelt die Leistungsfähigkeit des Rechners.

Bei IBM heißt es, man stehe erst am Anfang der Technologie. Der Plan: Binnen zehn Jahren sollen Quantencomputer und klassische Computer zusammenarbeiten. Wer ein kompliziertes Rechenproblem hat, nutzt dann die Leistungsfähigkeit des Quantencomputers über eine Cloud, wie IBM-Vizepräsident Jay Gambetta in einem Blockeintrag skizziert hat. Eine enorme Aufgabe. Der klassische Computer brauchte Jahrzehnte von der Touringmaschine und Konrad Zuses Z1 in den dreißiger Jahren bis zu den ausgefeilten Cloud-Diensten, die es heute gibt.

IBM will Quantum Systems One auch verkaufen. Die Chancen sind riesig. Die Analysten der US-Bank Morgan Stanley schätzen, dass sich der Markt für High-End-Quantencomputer bis 2025 auf zehn Milliarden Dollar pro Jahr verdoppeln wird. Die Zahl der Käufer ist noch übersichtlich. Einen Rechner hat die gemeinnützige Cleveland Clinic im US-Bundesstaat Ohio gekauft, die ihn für Pharmaforschung nutzen will. Liefertermin: 2023. Preis: auf Anfrage. Offiziell nennt IBM nicht einmal eine grobe Zahl. Firmengeheimnis.

Denn auch die Konkurrenz arbeitet an Quantenrechnern. Mit dabei sind der US-Internetkonzern Google, der chinesische Internetriese Alibaba und Start-ups wie Novarion, Rigetti und D-Wave. Nicht alle arbeiten an universellen Superrechnern, die jede Art von Rechenoperation ausführen können, sondern an Quantencomputern für spezielle Einsätze. Google hat einen universellen Quantencomputer mit 73 Qubits entwickelt, der allerdings derzeit nicht stabil läuft.

Bis jeder einen kleinen Quantencomputer zu Hause hat oder Rechenkapazität nutzen kann, dauert es. Manfred Hauswirth vom Fraunhofer Fokus sagt: „Wir wissen, dass wir es schaffen werden. Aber wir können uns nicht glaubwürdig auf einen Zeitpunkt festlegen, an dem wir praxistaugliche Quantencomputer haben.“

 

Was ist ein Qubit?

Fraunhofer Fokus erklärt den Kern des Quantencomputings so: Während ein klassischer Rechner mit Bits rechnet, nutzt ein Quantencomputer Qubits. Diese können nicht nur die Werte 0 oder 1 annehmen, sondern durch die Überlagerung von Quantenzuständen auch jede beliebige Kombination aus beidem. Erst wenn ein Qubit gemessen wird, wird es auf einen konkreten Wert festgelegt. Man kann sich Qubits als rotierende Teilchen vorstellen, deren Rotationsachse sich erst auf eine Position festlegt, wenn man misst. Gerechnet wird mit Korrelationen von Qubit-Zuständen.

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