Die Töchter tragen die doppelte Last

Eine zweijährige Familien-Pflegezeit will Familienministerin Kristina Schröder ermöglichen, um Angehörigen die Pflege ihrer alten Eltern zu erleichtern. Was bedeutet dieser Vorschlag?

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Von Hannes Koch

04. Mär. 2010 –

Den 85jährigen Vater zu pflegen, der sein Gedächtnis verloren hat, ist kein Halbtagsjob. Nachts um drei braucht er eine neue Windel. Vielleicht auch nochmal um fünf Uhr früh. „Söhne und Töchter, die ihre pflegebedürftigen Eltern zu Hause umsorgen, leben oft an der Grenze ihrer Belastbarkeit“, sagt Professor Stefan Görres, der Direktor des Instituts für Pflegeforschung der Uni Bremen. Deshalb betrachtet er den neuen Plan von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) mit großer Skepsis: „Das ist kaum machbar.“


Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat Schröder am Mittwoch vorgeschlagen, einen Rechtsanspruch auf eine „zweijährige Familien-Pflegezeit“ einzuführen, um Angehörigen die Versorgung ihrer alten Eltern zu erleichtern. Das Modell soll so funktionieren: Die berufstätigen Söhne oder Töchter gehen zwei Jahre lang auf halbe Stelle, und ihr Arbeitgeber zahlt ihnen während dieser Zeit 75 Prozent des Lohnes weiter. Die Familienmitglieder haben so erstens Zeit und zweitens Geld, die Pflege zu Hause zu bewerkstelligen. Danach arbeiten die Beschäftigten wieder Vollzeit, doch erhalten zwei weitere Jahre ebenfalls nur 75 Prozent ihres Gehaltes. Ergebnis: Den Unternehmen entstehen keine zusätzlichen Kosten.


Das klingt auf den ersten Blick gut und realistisch. Was aber bedeutet es praktisch? Die Angehörigen machen zwei Jobs und bezahlen die Pflege ihrer Eltern selbst. Sie müssen im bezahlten Beruf noch besser funktionieren als bisher, denn Arbeitszeitverkürzung führt in der Regel zur Steigerung der Produktivität, also der Leistung. Zusätzlich sind sie zu Hause für die Rund-um-die-Uhr-Pflege zuständig. „Dieses Modell schafft kaum Entlastung“, sagt Pflege-Experte Görres. Auch nicht finanziell – im Gegenteil. Die privaten Pflegekräfte müssen mit drei Vierteln ihres bisherigen Lohnes auskommen. In vielen Fällen haben sie deshalb vermutlich keine Möglichkeiten mehr, zusätzliche externe Pflegeleistungen als Unterstützung einzukaufen.


Zu den gesellschaftspolitischen Auswirkungen sagt Görres schlicht: „Eigentlich ist Schröders Vorschlag frauenfeindlich.“ Seine Begründung: Frauen würden heute rund 80 Prozent der Pflege leisten, und die Familien-Pflegezeit bekräftige diesen Zustand. Weil Familienministerin Schröder Heimarbeit in der Vordergrund stelle, und nicht die Berufstätigkeit fördere, würden Frauen „in der Pflege festgenagelt“, so Görres.


Insgesamt ist Schröders Modell dem traditionellen Weltbild verhaftet, dass zuerst die Familie und dann erst der Staat für Betreuung, Pflege und Fürsorge zuständig sei. Das hat auch Auswirkungen für die Antwort auf die Frage: Woher soll das Geld kommen, wenn statt heute 2,2 Millionen Menschen in 30 Jahren etwa 3,4 Millionen Personen pflegebedürftig sind? Schröder würde sagen: Die Familien müssen die Pflege mittels Lohnverzicht in erster Linie selbst bezahlen. Mehr Steuergeld oder Mittel aus der Sozialversicherung gibt es nicht. Schließlich geht man in der Union mehrheitlich davon aus, dass die Bürger und Unternehmen schon genug Geld an den Staat überweisen.

 

Bedenken aus der Wirtschaft sind trotzdem zu hören. Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt warnte vor höheren Kosten für die Firmen. Es sei zu befürchten, dass mancher Beschäftigte die Zeit der Halbtagstätigkeit bei Drei-Viertel-Bezahlung akzeptiere, dann aber die andere, für ihn ungünstigere Hälfte des Vertrages scheue und kündige. Für solche Fälle, sagte Ministerin Schröder am Donnerstag, könne ein Versicherungsmodell vorsorgen, das den Unternehmen Ausfälle bezahle.

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