Die Wahl zwischen Wachstum und Stabilität

WEF Davos: IWF-Vizedirektor beklagt mangelnde Regulierung der Banken

Teilen!

Von Hannes Koch

23. Jan. 2013 –

Die Macher des World Economic Forums (WEF) waren trickreich, als sie das Veranstaltungsmotto „Widerstandsfähige Dynamik“ wählten. Soll dieser Titel doch andeuten, dass fünf Jahre nach Ausbruch der großen Finanzkrise die Stabilität des Finanzsektors zurückgekehrt und gleichzeitig höheres Wirtschaftswachstum möglich seien. Am Mittwoch, dem ersten Tag des diesjährigen WEF, zeigte sich allerdings, dass diese Hoffnung einstweilen enttäuscht wird.


Bei der Auftaktveranstaltung im Davoser Kongresszentrum sagte Min Zhu, der Vizechef des Internationalen Währungsfonds (IWF): „Wir sind noch immer nicht sicher.“ Der weltweite Finanzsektor sei heute ähnlich groß wie 2008 und übersteige den Wert der global gehandelten Güter um ein Vielfaches, so Min Zhu. Seine Botschaft: Damit stecken im System der Banken, Investmentfonds und Versicherungen auch heute ähnlich große Risiken wie vor der Krise.


Die Schlussfolgerung des IWF-Direktors: Der Bankensektor sei nach wie vor zu groß und müsse mittels staatlicher Regulierung dazu gezwungen werden, seine risikoreichen Geschäfte zu reduzieren. Viele der bisher beschlossenen Maßnahmen – höhere Eigenkapitalanforderungen für Banken, eine gewisse Aufsicht für Ratingagenturen und systemrelevante Finanzinstitute – kritisierte Min Zhu als nicht wirksam genug.


Warum aber ist die Regulierung trotz der oft beschworenen Notwendigkeit noch nicht weiter gediehen? Einen Grund nannte während der Auftaktveranstaltung Axel Weber, ehemaliger Bundesbankpräsident und gegenwärtiger Chef der Schweizer Großbank UBS. Er beklagte die unterschiedlichen Regulierungsansätze beispielsweise in den USA, Großbritannien und der EU, die die jeweiligen nationalen Interessen spiegelten. Die Unterschiede nähmen der Regulierung aber auch einen Teil ihrer Wirksamkeit, so Weber.


Außerdem beschrieb der UBS-Chef einen Konsens der internationalen Bankenaufseher: Solange das Wachstum in den USA, Japan sowie Europa schwach sei, und die Banken somit keine ausreichenden Gewinne erwirtschafteten, sei ihnen eine zu strenge Regulierung nicht zuzumuten. Schließlich kostet diese Geld: Beispielsweise brauchen die Institute Milliarden Euro zusätzlich, um das höhere Eigenkapital zurückzulegen. Die unausgesprochene Botschaft Webers konnte man so verstehen: Augenblicklich gilt es zu wählen zwischen der angestrebten Stabilität des Finanzsektors und dem Wunsch der Regierungen nach höherem Wirtschaftswachstum.


Dieses allerdings lässt noch immer auf sich warten. Die Eurokrise fordert ihren Tribut, die Sanierung der öffentlichen Finanzen in Europa und den USA bindet Geld, das sonst in die Förderung der Nachfrage investiert werden könnte. Aber in Davos virulent ist auch die Debatte über langfristige Wachstumshemmnisse. Die beunruhigende Frage lautet: Sind die westlichen Industrienationen noch innovativ genug, um immer weiter hohes Wachstum zu erzeugen?


Im vergangenen Jahrhundert, so argumentieren einige US-Ökonomen, hätten bahnbrechende Innovationen wie die Elektrizität, der Verbrennungsmotor und die Antibiotika zu hohen Produktivitäts- und Wachstumssprüngen geführt. Seit den 1970er Jahren aber nehme der jährliche Zuwachs ab. Auch die Computer und das Internet hätten den Prozess der Verlangsamung nicht aufgehalten.


Beim WEF in Davos wird in Regel versucht, diese unangenehme Analyse nicht allzu ernst zunehmen. Ein beliebter argumentativer Ausweg sieht so aus: Erstens habe die moderne Kommunikationstechnologie ihre volle Wirksamkeit noch gar nicht erreicht. Zweitens beinhalte gerade nachhaltige Technik ungeheure Potentiale. Beispielsweise durch die flächendeckende Einführung umweltschonender Elektrofahrzeuge ließen sich Produktivität und Wachstum wieder erhöhen. Und drittens: Wer könne schon in die Zukunft schauen? Neue, revolutionäre Entwicklungen seien immer wieder möglich.

« Zurück | Nachrichten »