Die weltweite Armut nimmt ab

Ihr Ziel, die Zahl der armen Menschen auf der Welt zu halbieren, halten die Vereinten Nationen ein. Trotzdem nimmt der Hunger in manchen Regionen zu.

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Von Hannes Koch

08. Sep. 2010 –

Es war ein großes Versprechen, das die Vereinten Nationen sich selbst und der Welt vor zehn Jahren gaben. Am 8. September 2000 beschlossen fast alle Staaten gemeinsam, die globale Armut bis zum Jahr 2015 halbieren zu wollen. Nun, genau zehn Jahre später, steht fest: Das überragende Ziel wird wohl erreicht. Trotzdem sind die Lebensbedingungen sehr vieler Menschen nicht besser, sondern eher schlechter geworden.


Diese scheinbar paradoxe Entwicklung werden US-Präsident Barack Obama und Dutzende weiterer Regierungschefs beim Millennium-Gipfel der UN ab 20. September in New York diskutieren. Einerseits können sie sich über einen großen Erfolg freuen. Die dramatische Armut geht tatsächlich langsam zurück. Während 1990 noch 42 Prozent der Erdenbewohner in größtem Elend lebten, sank dieser Anteil bis 2005 auf 25 Prozent. Und 2015 soll die 20-Prozent-Marke unterschritten werden. Die Halbierung der globalen Armut wäre damit erreicht.


Als arm gelten im Sinne dieser Statistik Menschen, die mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen müssen. Zum Vergleich: Im reichen Deutschland ist arm, wer weniger als rund 30 Euro zur Verfügung hat.


In absoluten Zahlen heißt das: 1990 lebten weltweit noch 1,8 Milliarden Menschen unter der Grenze absoluter Armut. Im Jahr 2015 werden es wahrscheinlich weniger als 1,2 Milliarden sein. Dies ist immer noch eine sehr hohe Zahl, aber angesichts der anwachsenden Weltbevölkerung doch ein gewisser Erfolg.


Zustande kommt die günstige Entwicklung vor allem durch die großen Fortschritte in Asien. Unter anderem in China als bevölkerungsreichstem Land der Erde schafften in den vergangenen Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen den sozialen Aufstieg. Dies sei freilich schon im Jahr 2000 absehbar gewesen, als die UN auf Anregung ihres Generalsekretärs Kofi Annan die Millenniumziele beschloss, sagt Jens Martens vom Global Policy Institut in Bonn. „Die Ziele sind nicht ehrgeizig genug“, folgert Martens deshalb. Der asiatische Aufschwung überdecke, dass die Lage in anderen Teilen der Welt viel düsterer aussehe.


Das positive Bild verschiebt sich tatsächlich, wenn man die einzelnen Weltregionen betrachtet. In Afrika südlich der Sahara sinkt der Anteil der Armen zwar ebenfalls - von knapp 60 Prozent (1990) auf knapp 45 Prozent in 2015. Das große Ziel der Halbierung allerdings würde damit verfehlt.


Und in besonders einer Hinsicht verschlechtert sich die Lage sogar rapide: Der Hunger breitet sich weiter aus. Zur Zeit leidet etwa eine Milliarde Menschen unter starkem Mangel an Nahrungsmitteln – ein Anstieg gegenüber 1990. Das Ziel, den Anteil der Hungernden an der Weltbevölkerung bis 2015 zu halbieren, dürfte die Weltgemeinschaft deshalb weit verfehlen.


Zu diesem Rückschritt beigetragen hat unter anderem der starke Anstieg der Preise für Agrarprodukte in den Jahren 2007 und 2008. Viele Einwohner ärmerer Länder konnten sich deshalb ihre Grundnahrungsmittel kaum noch leisten. Eine Ursache des Preisanstiegs war die steigende Nachfrage aufgrund zunehmenden Wohlstandes unter anderem in Asien. Hinzu kamen allerdings auch spekulative Momente: Finanzinvestoren stiegen in großen Maßstab in den Markt ein und trieben die Preise nach oben. Kritiker Martens fordert deshalb, die Spekulation mit Nahrungsmitteln politisch einzuschränken und Hedgefonds den Handel mit Agrarrohstoffen zu verbieten.


Auch in Bezug auf die übrigen sieben Millenniumziele ist die Lage gemischt. Beim Ziel, allen Mädchen und Jungen eine Grundschulausbildung zu ermöglichen, sind zwar Fortschritte zu verzeichnen. Bleibt es beim bisherigen Tempo, würden 2015 trotzdem noch Millionen Kinder keine Schule besuchen. Auch die Ziele, die Kinder- und Müttersterblichkeit zu senken, sowie die Ausbreitung von Aids, Malaria und Tuberkulose zu stoppen, werden wohl verfehlt.


Die Verantwortung dafür tragen nicht nur die Regierungen der Entwicklungsländer, sondern auch die reichen Staaten. Zwar haben die großen westlichen Geberländer ihre staatliche Entwicklungshilfe seit 2000 mehr als verdoppelt – 2009 flossen knapp 110 Milliarden Dollar in die Entwicklungsländer. Doch auch diese Zahlungen bleiben unter den Summen, die etwa die Europäische Union für notwendig erachtet. Deutschland beispielsweise müsste seine Entwicklungshilfe künftig um etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr erhöhen, damit die zugesagte Größenordnung von 0,7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung erreicht würde. Warum das nicht passiert? Die Gründe sind vielfältig: Sie heißen Staatsverschuldung, Schuldenbremse, Steuersenkung, Subventionen et cetera.

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