Die zweite Phase der Eurokrise beginnt

Braucht Europa ein gemeinsames Sozialsystem, um seine Krise zu überwinden?

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Von Hannes Koch

16. Aug. 2013 –

Die gute Nachricht zuerst. Die Wirtschaft Griechenlands ist zwischen April und Juni 2013 nur noch um 4,6 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Quartal 2012 geschrumpft. Die soziale, ökonomische und politische Katastrophe in dem Mittelmeerland geht also weiter – aber nicht mehr ganz so schnell wie vorher. In den ersten drei Monaten diesen Jahres betrug das Minus noch 5,6 Prozent.

 

So sehen die frohen Botschaften aus, die Europa gerade in die Welt schickt. Aber die Nachrichtenlage auf die Probleme Athens zu reduzieren wäre doch etwas böswillig. Tatsächlich gibt es Anzeichen dafür, dass die 17 Mitgliedsländer des Euro den tiefsten Punkt ihrer wirtschaftlichen Entwicklung hinter sich lassen.

 

„Die erste Phase des Strukturwandels scheint langsam zum Ende zu kommen“, sagt Ferdinand Fichtner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. In Griechenland, Portugal, Spanien, Zypern, Italien und weiteren Euro-Mitgliedern sind mittlerweile Millionen Menschen arbeitslos geworden. Die Erwerbslosenquote reicht dort nun bis zu 27 Prozent. Tausende Firmen Unternehmen sind pleite, viele haben die Löhne ihrer Beschäftigten gekürzt, die Staaten reduzierten ihre Sozialleistungen und Ausgaben. Der Zweck der Übung: Die staatliche Verschuldung soll sinken und eine billiger produzierende, konkurenzfähige Wirtschaft bald stabile Einnahmen generieren.

 

Ist das also jetzt die Trendwende in der Eurokrise? Endlich werden die wirtschaftlichen Zahlen nicht dauernd schlechter. Sie sind mies, deuten aber immerhin Besserung an. So hat das Europäische Statistikamt den 17 Eurostaaten unlängst erstmals seit anderthalb Jahren insgesamt wieder Wachstum bescheinigt. Um 0,3 Prozent sei die gemeinsame Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal 2013 gestiegen. Hoffnung keimt auf, weil nicht nur Deutschland mehr produziert (+0,7%), sondern auch Frankreich (+0,5 %) und Portugal (+1,1 %) - jeweils im Verhältnis zum vorhergehenden Vierteljahr.

 

Die Mehrheit der Ökonomen nimmt deshalb an, dass jetzt Chancen für eine allmähliche Erholung bestehen. DIW-Forscher Fichtner: „Die zweite Phase, der Aufbau neuer Strukturen, könnte fünf bis zehn Jahre in Anspruch nehmen.“ Dabei wird es unter anderem darum gehen, eine neue, wettbewerbsfähige Herstellung aufzubauen, deren Produkte sich auf einheimischen und internationalen Märkten besser verkaufen. Im Falle Griechenlands könnten das beispielsweise Lebensmittel sein, Medizinprodukte oder auch elektrische Energie aus Sonnen- und Windkraftwerken. Außerdem versucht das Land, seine Verwaltung so zu modernisieren, dass mehr Steuern hereinkommen und weniger Geld in der Klientelwirtschaft versickert. „Wenn keine politischen Katastrophen dazwischenkommen, dürften wir am Anfang des Aufschwungs in Euroland stehen“, fasst Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft zusammen.

 

Nicht alle allerdings sind der Ansicht, dass Europa sich tatsächlich aus seiner Krise herausarbeitet. Zu den Skeptikern gehört Wirtschaftsprofessor James K. Galbraith von der University of Texas in Austin. „Bei Licht betrachtet ist Europa noch immer in einem desolaten Zustand und dem Zusammenbruch wohl näher als einer Lösung der Krise.“ Leute wie Galbraith weisen auf die vielen Risiken hin, die die leichte Erholung schnell wieder zunichte machen könnten. Wenn beispielsweise der verurteilte Steuerbetrüger Silvio Berlusconi die italienische Regierung platzen lässt, mag das zwischendurch zurückgekehrte Vertrauen der internationalen Investoren schlagartig wieder abnehmen.

 

Auch große Banken in Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien stehen nicht unbedingt auf sicheren Füßen. Man muss vermuten, dass einige immer noch dicke Pakete wertloser Investments mit sich herumschleppen und ihnen das Eigenkapital fehlt, um Erschütterungen zu überstehen.

 

Außerdem kommt möglicherweise zuerst auf Griechenland der nächste Schuldenschnitt zu – eine Variante, die vor allem die deutsche Regierung wegen des laufenden Wahlkampfes für den Bundestag zu ignorieren versucht. Das Sorgenkind am Mittelmeer ist mittlerweile wieder mit etwa 170 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet. Und die Kreditlast gegenüber den europäischen Notfonds, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds steigt, unter anderem weil die Wirtschaft weiter schrumpft.

 

Schon jetzt gibt die Regierung in Athen weit mehr als zehn Prozent ihres Staatshaushaltes für Zinsen aus. Diese Belastung mag noch tragbar erscheinen. Wenn sie allerdings weiter zunimmt, schnürt sie der Regierung die Luft ab. Dann könnte sich schnell die Frage stellen: Brauchen auch Portugal oder Spanien einen Schuldenschnitt? Alleine die Debatte darüber könnte die Vertrauenskrise, die Unsicherheit, einen Anstieg der Zinsen für Staatsanleihen und damit die Krise zurückbringen.

 

Wenn das alles wäre - aber Kritiker Galbraith formuliert außerdem eine ganz grundsätzliche Kritik. Sein Vorwurf: Der reiche und hartherzige Norden lasse den armen, hilfsbedürftigen Süden hängen und verletze damit ein Gründungsversprechen der Europäischen Union. „Wie kann man denn zusehen, dass Menschen in Europa nichts zu essen haben?“, fragt der US-Ökonom. Ähnlich denkt Claus Offe, Professor für Politische Soziologie an der Berliner Hertie School of Governance. Er weist daraufhin, dass im Zuge der Krise antidemokratische, antieuropäische und radikal rechte Organisationen wie die griechische Partei Goldene Morgenröte oder die ungarische Jobbik an Zulauf gewinnen. Als Gegenmittel empfiehlt Offe, den „Sozialstaat, der auf nationaler Ebene durchlöchert wurde, auf supranationaler Ebene zu rekonstruieren“.

 

Dieser Ansatz spielt in der europäischen Debatte eine zunehmende Rolle. Die These: Europa könne seine Krise nur überwinden, wenn es den seit 2008 stattfindenden Prozess der Verarmung möglichst schnell stoppe und umkehre. Denn eine Arbeitslosigkeit von 27 Prozent würden Griechenland, Portugal und Spanien nicht lange ertragen.

 

Eine konkrete Antwort auf diese Herausforderung hat DIW-Ökonom Fichtner zusammen mit seinem Kollegen Sebastian Dullien entworfen. Die beiden plädieren dafür, eine europäische Arbeitslosenversicherung einzuführen. Die Beschäftigten aller Euromitglieder würden diesem Modell zufolge einen Teil ihrer Sozialbeiträge nach Brüssel überweisen und von dort im Notfall auch einen Teil der Versicherung ausgezahlt bekommen. Vorteil gegenüber den heute existierenden rein nationalen Sozialsystemen: Die europäische Arbeitslosenversicherung könnte den Arbeitnehmern eine gewisse Basisabsicherung garantieren, selbst wenn ihr Land von der Krise gebeutelt wird. Dieser europäische Sozialtransfer würde auch die Nachfrage und damit die Wirtschaft insgesamt stabilisieren, so Fichtner und Dullien.

 

Die Vertreter dieser Position dürften bislang jedoch in der Minderheit sein. Und der herrschenden Politik, besonders in Deutschland, geht die Forderung ohnehin zu weit. So verweist die Bundesregierung darauf, dass Sozialpolitik jetzt und auch künftig eine nationale Angelegenheit sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel betont im Übrigen gerne, dass man den harten Weg der Sanierung fortsetzen müsse – der leichte Aufschwung zeige ja jetzt, dass er funktioniere.

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