Drei Faktoren für den Aufschwung

25 Jahre Mauerfall – was haben wir gelernt? Teil 3: Wo und warum der Neuaufbau der Industrie in Ostdeutschland gut funktionierte

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Von Hannes Koch

12. Sep. 2014 –

Wird die Stadt Jena erwähnt, fällt vielen Bundesbürgern besonders ein Name ein: Lothar Späth. Der ehemalige CDU-Ministerpräsident Baden-Württembergs machte dort eine zweite Karriere als Industriemanager der Firma Jenoptik. Weniger bekannt ist, dass Jena insgesamt ein Vorbild für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Ostdeutschland darstellt. „Jena und Chemnitz sind gute Beispiele für eine gelungene Reindustrialisierung“, sagt Martin Rosenfeld vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

 

Millionen Industriearbeitsplätze gingen nach der Wende in Ostdeutschland verloren. Viele Stellen der DDR-Kombinate waren nach dem Fall der Mauer in der Marktwirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig. Zahlreiche Produktionen wurden aber auch geschlossen, weil die neuen Eigentümer ihre alten Westbetriebe schützen wollten. Das zwischenzeitliche Ergebnis: Die Arbeitslosigkeit stieg teilweise auf über 20 Prozent. Doch diese Zeiten sind vorbei. An vielen Orten gibt es wieder Industrie, an anderen ist die Reindustrialisierung im Gange.

 

So stehen in der thüringischen Stadt Jena Fertigungshallen und Forschungsabteilungen dreier großer Firmen. Carl Zeiss stellt Linsen und optoelektronische Geräte her. Jenoptik ist ein wichtiger Anbieter von Laser-Technologie. Und Schott produziert Spezialglas, das unter anderem in Solarzellen zum Einsatz kommt. Im sächsischen Chemnitz ist es ähnlich, aber mit anderer Spezialisierung. Die Firmen Niles Simmons und Union fertigen dort Werkzeugmaschinen. Hinzu kommt die Produktion von Fahrzeugteilen. VW betreibt in Chemnitz ein Motorenwerk.

 

„Beide Regionen konnten an lange handwerkliche und industrielle Traditionen anknüpfen“, erklärt Ökonom Rosenfeld – und benennt damit eine wichtige Voraussetzung der Reindustrialisierung in Ostdeutschland. Wo diese funktioniert, setzt sie eine Entwicklung fort, die im 19. Jahrhundert oder schon früher begann. In Jena ist dies unter anderem die Glasherstellung, in Chemnitz die des Maschinenbaus. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Deutschlands erste Werkzeugmaschinen-Fabrik in der sächsischen Industriestadt gegründet. Dieses Wissen gab es in der Region auch nach dem Fall der Mauer noch, es konnte reaktiviert werden.

 

Zweitens erscheint wichtig, dass „sowohl mittelständische Strukturen, als auch größere Betriebe vorhanden waren“, so Rosenfeld. Sowohl in Jena als auch in Chemnitz hatten die großindustriellen Kombinate der DDR kleineren Firmen nicht komplett den Garaus gemacht. So gelang es Erben oder neuen Besitzern in einigen Fällen, an die Tradition vor der Sozialisierung anzuschließen. Und so hing die Entwicklung nicht nur an wenigen Großbetrieben, sondern auch mittelständische Unternehmen boten nach und nach wieder Arbeitsplätze. Beides verstärkte sich gegenseitig.

 

Außerdem betont Gerhard Heimpold, ebenfalls Ökonom am IWH, den dritten entscheidenden Faktor: „Sachsen und Thüringen weisen an den Standorten Dresden, Chemnitz, Jena und Ilmenau starke Universitäten mit naturwissenschaftlich-technischer Orientierung auf, die offenbar positiv in die Industrie in den Regionen hineinwirken.“ Was die Wissenschaftler an den Hochschulen austüfteln, kann im besten Falle gleich vor Ort in neue Produkte einfließen.

 

Erstens Tradition, zweitens eine Verbindung von Mittelstand und Großunternehmen, drittens Wissenschaft – dies sind die drei wesentlichen Bestandteile, die Wirtschaftsforschern zufolge ein sogenanntes Cluster (ökonomisches Netzwerk) ausmachen. Wo diese vorhanden sind, funktioniert die Wirtschaftsentwicklung erfahrungsgemäß besonders gut. Einige Regionen in Ostdeutschland hatten das Glück, über diese Voraussetzungen zu verfügen. Andere nicht: Beispielsweise Suhl, Cottbus und Schwerin haben keine industrielle Renaissance erlebt.

 

Aber auch im Westen gibt es Regionen, die nur langsam vorankommen. „In manchen Städten des Ruhrgebietes sind solche wirtschaftlichen Cluster nach wie vor zu wenig entwickelt“, sagt IWH-Forscher Rosenfeld. „Dies ist auf die noch immer nachwirkende Dominanz der Großindustrie zurückzuführen." Lange sorgten die Kohle-, Stahl- und Energie-Konzerne für Wachstum. Nun scheinen neue Mittelstands- und Forschungsstrukturen noch zu schwach, um die Arbeitsplatzverluste auszugleichen.

 

Was sollte die Politik da tun? In Ostdeutschland hat Ökonom Heimpold die Erfahrung gemacht, dass „es sinnvoll sein kann, langsam Netzwerke kleiner Unternehmen aufzubauen“. Möglicherweise entstehe aus diesen dann wieder eine Cluster-Struktur, die Arbeitsplätze und Wachstum generiere. Aber dies, so Heimpold, „braucht Zeit und Geduld“.

 

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