Egalitarismus

Wir retten die Welt: Besuch bei KiK

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Von Hannes Koch

16. Jul. 2017 –

Mein 17jähriger Sohn hört Macklemore, einen US-Rapper. Thrift Shop heißt der Song. Im Video dazu fahren der Sänger und seine Kumpels silberne Sportwagen und fette Motoryachten, tragen aber alte Pelze, Latzhosen und Anzüge aus dem Secondhand-Laden. Hippe Leute müssen nicht ständig neue Klamotten kaufen, lautet die Botschaft. Opas ausrangierte Kleidung steht ihnen auch gut.


Ich komme gerade aus Bönen in Nordrhein-Westfalen, wo ich in der Zentrale des Textildiscounters KiK ein Interview mit dem Chef geführt habe. Kauft neu, kauft mehr, kauft billig, lautet dort die Philosophie. Mein Sohn: Das sind doch die mit der bescheuerten Werbung? Er meint die Filme, in denen Verena Pooth ruft: „KiK, besser als wie man denkt!“ - „Schon deshalb würde ich da niemals einkaufen“, sagt mein Spross. „Du bist auch nicht die Zielgruppe“, antworte ich und denke: Ich habe meine Kinder zu Snobs erzogen, die am Hackeschen Markt 130 Euro für eine Fair Trade-Jeans ausgeben.


Ich nehme mich da nicht aus. Dutzende Male habe ich über KiK geschrieben - Bangladesch, eingestürzte Fabrik, Menschenrechte, miese Löhne. Aber eine KiK-Filiale besucht habe ich noch nie. Mangelnde Recherche? Ich ziehe es vor, diese Idee nicht bis zur letzten Konsequenz zu durchdenken. Aber zu spät ist es nie. Also Besuch beim Textildiscounter auf der Friedrichstraße. Erstaunlich aufgeräumt ist es dort. Keine Wühltische, ordentliche Rundständer. Es macht nicht unbedingt einen billigen Eindruck.


Sie rüsten auf und wollen neue Kundenkreise erschließen. Das ist wie mit dem frischen Fisch bei Aldi, wo früher nur aus dem Karton verkauft wurde. Irgendwann erschöpft sich das Wachstumspotenzial der Billigstrategie, dann müssen etwas mehr Qualität und Design an den Start. Bei KiK verkaufen sie jetzt auch blattförmige Teller für´s Abendessen, nicht unähnlich denen, die ich unlängst in der Porzellanabteilung des KaDeWe am Tauentzien gesehen habe.


So führt der Zwang zum Wachstum zu einer seltsamen Konvergenz der Lebensstile. KiK will zusätzlich attraktiv werden für eine anspruchsvollere Kundschaft. Gleichzeitig bietet das Luxuskaufhaus preisgünstige Einstiegsangebote, damit der Konsumtempel keinen menschenleeren Eindruck macht. Die einen orientieren sich nach oben, die anderen nach unten. Man trifft sich in der Mitte. Diese ökonomische Tendenz zur Egalisierung gibt eigentlich Anlass zur Hoffnung. Unsere Gesellschaft ist durchlässig, jedenfalls am T-Shirt-Ständer.


Solchen Gedanken nachhängend schlappe ich an den KiK-Regalen entlang, prüfe diesen oder jenen Artikel. Spannbetttuch, 7,99 Euro, 100 Prozent Baumwolle, Ökotex? Erstaunlich. Warum soll ich dafür bei Karstadt das Vierfache ausgeben? Die Strategie geht auf. Und halt, was kommt da aus den Lautsprechern? Tatsächlich: Sie spielen Macklemore. Sie haben was gelernt, wenn auch vielleicht nicht die Absicht des Musikers verstanden.

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