• Annette Domhan iist Programmdirektorin bei der Austauschorganisation AFS (American Field Service)
    Bild: AFS

Ein Austauschjahr ist eine Stresssituation

Weit weg von zuhause, umgeben von fremden Menschen: Ein Schuljahr im Ausland bringt Jugendlichen viel Spaß, stellt sie aber auch vor große Herausforderungen. Wie viel Kraft die Begegnung mit einer anderen Kultur kostet, verrät Annette Domhan im Gespräch m

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11. Jun. 2010 –

Frage: Frau Domhan, ist ein Austauschjahr für alle jungen Menschen geeignet?

 

Annette Domhan: Ein solches Abenteuer setzt eine gewisse Portion Selbstbewusstsein voraus. Die Schüler sollten aufgeschlossen und neugierig auf andere Menschen und Kulturen sein. Wer sich für einen Jugendaustausch bewirbt, erfüllt diese Voraussetzungen in der Regel. Im Rahmen unseres Auswahlverfahrens testen wir in spezifischen Spielsituationen und Gesprächsrunden, ob Bewerber tatsächlich für ein Schuljahr im Ausland geeignet sind.

 

Frage: Fallen viele durch?

 

Domhan: Nein. Einige wenige Schüler werden von ihren

Eltern zu einem Austausch gedrängt und haben selbst gar keine Lust, ins Ausland zu gehen. Da ist es natürlich besser, diesen Willen zu respektieren und so allen Beteiligten negative Erlebnisse zu ersparen. Auch Jugendliche in psychologischer Behandlung müssen wir ausschließen. Ein Jahr in einem fremden Land bedeutet auch immer eine Stresssituation. Das wäre eine zu große Belastung. 

 

Frage: Ein fremdes Land stellt also eine Stresssituation dar. Mit welchen Problemen haben die Jugendlichen zu kämpfen?

 

Domhan: Die Schüler sind in einem fremden Land und zum ersten Mal länger von ihrer Familie und ihrem Zuhause getrennt. Anfangs beherrschen sie außerdem meist die Sprache nicht richtig und können sich daher nicht so ausdrücken, wie sie es eigentlich möchten. Da kann es natürlich auch zu  Missverständnissen in der Kommunikation mit der Gastfamilie kommen. In derartigen Situationen kann bei einigen Teilnehmern Heimweh auftreten.

 

Frage: Und was ist mit dem Kulturschock? Der wird im Zusammenhang mit Auslandsaufenthalten häufig erwähnt.

 

Domhan: Heute sprechen wir vom Kulturshift, also einer Kulturveränderung. Das bedeutet, dass die Jugendlichen Unterschiede zwischen der eigenen und der fremden Kultur feststellen. Die Reaktionen darauf sind ganz unterschiedlich: Zu einem Zeitpunkt sind sie absolut enthusiastisch, zu einem anderen einfach nur enttäuscht. An diesem Punkt ist es wichtig, dass die Schüler erkennen, dass sie viel über die andere Kultur lernen können, wenn sie sich auf die neue Situation einlassen und eine andere Perspektive einnehmen. Das geht jedoch nur, wenn sie bereit sind, ihre eigenen Verhaltensmuster zu hinterfragen und gegebenenfalls an die neuen Gegebenheiten anzupassen.

 

Frage: Was passiert mit denen, die es nicht schaffen, sich zu ändern?

 

Domhan: Dann bleibt nur noch, die Situation zu verändern und den Heimweg anzutreten. Ich habe höchsten Respekt vor Schülern, die nach vier Wochen sagen „Ich fahre nach Hause“. Diese jungen Menschen, die gerade einmal 16 oder 17 Jahre alt sind, haben einen harten Denkprozess durchgemacht. Sie wissen, wie es sich anfühlt, weit weg von Freunden und der eigenen Familie zu sein, und die Sprache nicht zu beherrschen. Das ist ein Erkenntnisgewinn, für den sich keiner schämen muss.  

 

 

Bio-Box: Annette Domhan (47) ist seit 30 Jahren beim AFS (American Field Service) tätig. Zuerst engagierte sich die gebürtige Baden-Württembergerin ehrenamtlich in der Organisation. Seit 1995 organisiert sie Austauschprogramme im Hamburger AFS-Büro – seit 2003 als Programmdirektorin.

 

Der AFS: Der American Field Service (AFS) wurde von jungen Amerikanern gegründet, die während der zwei Weltkriege freiwillig Krankentransporte übernahmen. Heute ist der AFS eine der größten gemeinnützigen Jugendaustauschorganisationen weltweit.  

 

 

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