• Foto: Paul Langrock

Ein historischer Zyklus

Kommentar zum Klima-Urteil des Verfassungsgerichts

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Von Hannes Koch

29. Apr. 2021 –

Die Bundesregierung hat sich bisher zu wenig um den langfristigen Klimaschutz gekümmert. So lautet die Botschaft, die das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag sendete. Das setzt alle Parteien unter Druck. Wobei die Grünen bei der nächsten Bundestagswahl am ehesten profitieren könnten, denn sie sind mit dem Klima-Thema am deutlichsten verbunden. In langfristiger Perspektive jedoch zeigt das Urteil, vor welch gigantischen Herausforderung das gesamte politische System steht.

Vorbeugender Klimaschutz hat Verfassungsrang, stellte das Gericht fest. Aus dem Grundgesetz folgt ein „Klimaschutzgebot“, dass die Rechte und Freiheiten der heute noch jungen Generation auch in Zukunft berücksichtigen muss. Deshalb sollen die Belastungen des Klimaschutzes fair auf die Generationen verteilt werden. Die jetzige, vor allem aber die nächste Bundesregierung hat nun bis Ende nächsten Jahres Zeit, konkrete Maßnahmen zur Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes ab 2031 festzulegen. Genau diese fehlten bisher, erklärte das Gericht.

Als „historisch“ hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier das Urteil bezeichnet. Diese Bewertung könnte zutreffen – in anderem Sinne, als der CDU-Politiker meinte. Wer einen Schritt zurücktritt, erkennt eine Entwicklung, die die Lebenszeit von drei Generationen umfasst. In den 1970er Jahren begannen die Ökologie-Bewegungen in reichen Ländern Missstände zu thematisieren, die mittlerweile global handlungsleitend sind und zur Klima-Neutralität 2050 führen sollen. Der Bogen spannt sich über fast 100 Jahre.

Dieser Zyklus hat neue Parteien hervorgebracht, die in Gestalt der deutschen Grünen bald das politische Ruder übernehmen könnten. Für sie bedeutet die Entwicklung erst einmal zusätzliche Kraft, langfristig aber ein gigantisches Problem – wie auch für die anderen Parteien. Schließlich geht es darum, einen gewissen materiellen Verzicht (Autos, Fleisch, Reisen, große Wohnungen, Konsum) mit dem Wunsch nach höherer Lebensqualität und Wohlstand zu verbinden. Ob das die Grünen in den kommenden Jahrzehnten schaffen, ist offen. Andere gesellschaftliche Interessen, Gruppen und Parteien werden versuchen, ähnlich relevante und zugkräftige Motive entwickeln wie den Klimaschutz.

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