Ein zivilisierter Sweatshop

Schlechte Löhne, zu lange Arbeitszeiten – so arbeite die adidas-Textilfabrik Tien Sung in China, sagen Kritiker. „Der Mindestbedarf der Beschäftigten ist abgedeckt“, antwortet der Konzern. Was stimmt? Und was sagen die Arbeiter? Der Besuch in der Fabrik

Teilen!

Von Hannes Koch

05. Jun. 2010 –

Chen Dawei ist sehr unzufrieden. „Der Reis in der Kantine ist schlecht“, sagt der 20jährige chinesische Arbeiter. Ungenießbar, zu hart, zu wenig Fett. Und das nicht nur heute, sondern dauernd. Er stochert mit den Stäbchen in seiner Schale herum. Daneben liegt auf dem grünen Tisch ein Häuflein Abfall. Ohne Begeisterung nimmt Chen* ein wenig Gemüse und Fleisch zu sich. Das meiste aber lässt er stehen und wirft es am Ende der Mittagspause in eine der großen Tonnen.


Vor einiger Zeit gab es einen Streik in der chinesischen Fabrik, die für das Unternehmen adidas Sportbekleidung fertigt. Manche Arbeiter sagen, der Grund sei das schlechte Essen gewesen. Andere berichten, der Protest habe sich auch gegen die zu niedrigen Löhne gerichtet. Jedenfalls stellten die Arbeiterinnen und Arbeiter die Nähmaschinen ab und blockierten für mehrere Stunden die nahe Autobahn.


Adidas – die Firma ist Europas größter Sportartikel-Hersteller. Bei der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika rüstet der Konzern neben der deutschen Nationalmannschaft elf weitere Teams aus, mehr als die globalen Konkurrenten Nike und Puma. Gespielt wird bei der WM 2010 ausschließlich mit Bällen, die das adidas-Logo der drei Streifen tragen. Dank des außergewöhnlichen Werbeeffekts rechnet adidas dieses Jahr mit einem steigenden Umsatz auf rund zehn Milliarden Euro. Der Gewinn könnte bei 500 Millionen Euro liegen.


Ist es angesichts dieser komfortablen Lage zu glauben, dass die offiziellen adidas-Zulieferer, die der Konzern auf seiner Internetseite veröffentlicht, am Essen der Arbeiter sparen und miese Löhne zahlen? Gegen die chinesische Firma Tien Sung, in der Chen Dawei arbeitet, erhebt die Kampagne für Saubere Kleidung schwere Vorwürfe. Die bevorstehende WM nutzen die Kritiker, um die Öffentlichkeit zu alarmieren. Ob die Anschuldigungen zutreffen, soll der Besuch der taz in der Fabrik klären.


“adidas hält an wichtigen Punkten seinen eigenen Verhaltenskodex nicht ein”, sagt Kirsten Clodius, die für die Kampagne gegen adidas verantwortlich ist. Bei ihren Vorwürfen stützt sie sich auf einen Untersuchungsbericht, den sie bei der Hongkonger Organisation Sacom (Students and Scholars Against Corporate Misbehavior) in Auftrag gegeben hat.


Erstens, so haben die Sacom-Rechercheure ermittelt, reiche der Lohn bei Tien Sung kaum aus, um die Grundbedürfnisse der Arbeiter zu decken. Zweitens liege der Basislohn in der Fabrik nur auf der Höhe des staatlich festgesetzen Mindestlohns, der seit 1. Mai diesen Jahres 1.100 Renmimbi pro Monat beträgt (etwa 130 Euro). Adidas jedoch sichere in seiner „Strategie zu angemessenen Löhnen“ zu, dass die niedrigste Bezahlung über dem Mindestlohn liegen solle. Die Arbeitszeit gehe laut Sacom drittens teilweise weit über die 60 Stunden pro Woche hinaus, die sich adidas im Verhaltenskodex selbst als Grenze gesetzt habe. Und viertens hätten die Beschäftigten null Chancen, sich unabhängig zu organisieren, um ihre Interessen durchzusetzen. Zu ihren Ergebnissen kamen die Rechercheure, als sie zwischen Juni und Dezember 2009 Dutzende ArbeiterInnen außerhalb der Fabrik interviewten.


Die Kleidungsstücke, die Chen und die anderen Beschäftigten im vergangenen Jahr, zur Zeit der vermeintlichen Missstände, genäht haben, kann man jetzt kurz vor der WM auch in Deutschland kaufen. Eines davon: das rote Outdoor-Shirt Swift-Tee mit der adidas-Artikelnummer P 44473 zum Preis von 39,95 Euro. "Clima Cool bietet Ventilation für Deinen Körper sowie Feuchtigkeitstransport und sorgt damit für optimalen Komfort", verspricht der Anhänger.


Ihren Kunden bietet die größte Sportbekleidungsfirma Europas alle erdenklichen Angenehmlichkeiten. Die drei illuminierten adidas-Streifen an der Decke locken ins Innere des "Flagship-Stores" an der Berliner Einkaufsstraße Tauentzien. Drinnen warten zuvorkommende Bedienung, Computer mit Trainingsprogrammen und flotte Sprüche. „Hör nie auf die Messlatte höher zu legen“, steht in großen Buchstaben an der Wand – daneben die stilisierte Abbildung eines Athleten mit seinem gekrümmten Stab beim Absprung. Über die Qualität der Arbeit in den chinesischen Zulieferbetrieben weiß die Verkäuferin dagegen wenig bis nichts: "Wie hoch die Löhne dort sind, kann ich Ihnen nicht sagen."


Guangzhou, Südchina, anderthalb Zugstunden nördlich von Hongkong: Die Millionenstadt – traditioneller Name: Kanton – besteht auf den ersten Blick aus Hochhaussiedlungen, Autobahnkreuzen und riesigen Industriegebieten. Wegen des Smogs und der subtropischen Regenzeit sieht man den blauen Himmel nur selten. Die Fabrik Tien Sung liegt 40 Autominuten östlich des Zentrums. Auf den Grünstreifen der breiten Straßen stehen kugelförmig beschnittene Bäumchen und kleine Palmen. Auch auf dem weitläufigen Betriebsgelände macht alles einen modernen und aufgeräumten Eindruck. "Cherish the grass" – "Schütze den Rasen", mahnen die Blechschilder.


Adidas hat den Besuch des Journalisten und seiner Übersetzerin vermittelt. Während der Mittagspause in der Kantine ist aber kein Vertreter der Firma dabei. An einem der festgeschraubten Metalltische einige Plätze neben Chen Dawei sitzt die Arbeiterin Sin Lan*, vor sich eine dampfende Schale, die ihr an der Essensausgabe gefüllt wurde. Sin – das rotbraune Haar zu einem Knoten gebunden, schwarze Jeans, schwarzweiße Bluse – ist mit ihren 37 Jahren eine der erfahrensten Arbeiterinnen hier. Sie hat Einfluss, schnell bildet sich eine Menschentraube, die Umstehenden lachen, wenn sie lacht, und unterstützen sie mit Zurufen.


1.500 Renmimbi (177 Euro) verdiene sie im Monat, sagt Sin. Reicht das zum Leben? "Das Essen ist teuer in Guangzhou.“ Dafür brauche sie etwa 500 Renmimbi. Hinzu kämen gut 400 für Miete und Strom ihrer Wohnung außerhalb der Fabrik. Zusätzliches Geld gibt sie aus für Kleidung, Kosmetika, Transport und die Sozialversicherung, die zehn Prozent des Gehaltes kostet. Damit bleibt nicht mehr viel übrig, das sie ihren beiden Kindern schicken kann. Die leben bei den Großeltern auf dem Land, in einem "Bauerndorf" der Provinz Henan in Zentralchina. Ihr Lohn, sagt Sin Lan, reiche meist nur dafür aus, "einmal pro Jahr die lange Strecke zu den Kindern zu fahren".


Das ist das Lebensmodell vieler Beschäftigter bei Tien Sung und in anderen Fabriken. Sie sind WanderarbeiterInnen, 18, 19 oder 20 Jahre alt. Sie sind die ersten ihrer Familien, die vom Land in die Stadt ziehen. Sie lassen ihr altes Leben zwischen Hühnern und Hütten zu dem Preis zurück, dass sie vom Ertrag ihrer modernen Fabrikarbeit nicht nur das neue Leben in der Stadt, sondern gleichzeitig auch das alte ihrer Familie auf dem Lande finanzieren müssen.


Viele bescheiden sich deshalb mit dem Notwendigsten. Für solche Fälle hält Tien Sung zwischen den Produktionshallen ein Wohnheim bereit. Bis zu 800 Leute leben hier auf vier Stockwerken. Das Bauwerk ist in gutem Zustand, auf den Gängen um die Innenhöfe haben die Bewohner ihre Kleidungsstücke zum Lüften auf Bügel gehängt. In den Zimmern folgt auf einen winzigen Vorraum, der mit zwei kleinen Holztischen und Stühlen komplett ausgefüllt ist, jeweils ein etwa 20 Quadratmeter großer Schlafraum, in dem vier Doppelstockbetten stehen.


Die Betten sind mit Tüchern verhängt, um ein Minimum an Privatheit zu gewährleisten. Den bis zu acht BewohnerInnen steht jeweils ein Spind zur Verfügung. Wegen der subtropischen Temperaturen in Südchina befinden sich die Wasserstellen auf dem Außenbalkon, links eine Kochnische mit Waschbecken, rechts die Toilette. 40 Renmimbi (4,75 Euro) pro Kopf zahlen die Beschäftigten für diese Unterkunft monatlich an die Firma. Sie leben damit wesentlich günstiger, als würden sie eine Wohnung außerhalb mieten.


Welches also ist der richtige Maßstab, um den Lohn der Tien-Sung-Arbeiterinnen zu bewerten? Muss man die Lebenshaltungskosten in den traditionellen Dörfern betrachten, wo alles viel billiger ist? Das teure Leben in den Städten, vielleicht eine Mischkalkulation aus beidem? Man kann auch auf die Idee kommen, den Verdienst deutscher Konsumenten heranzuziehen, der das 20- oder 30fache des Lohns beträgt, den Arbeiterin Sin verdient. Würden wir für das adidas-Shirt statt 39,95 auch 45 Euro bezahlen, damit Sin Lan mehr Geld bekommt?


Wieviel Beschäftigte in Guangzhou, einer der teuersten Städte Chinas, zum Leben brauchen, ist eine umstrittene Frage. Manche Gewerkschafter nennen 1.500 bis 1.800 Renmimbi. Die in der Asia Floor Wage-Kampagne zusammengeschlossenen Aktivisten bezifferten Ende 2008 die Lebenshaltungskosten für das menschenwürdige Leben eines alleinstehenden Arbeiters in Guangzhou mit 2.600 Renmimbi (308 Euro) - inklusive Telekommunikation, Arztkosten, Unterstützung der Familie und Altersvorsorge. Daran gemessen ist der Lohn beim adidas-Zulieferer Tien Sung extrem kärglich. Die Beschäftigten leiden zwar keinen Hunger. Doch die Bezahlung ermöglicht kaum mehr, als ein Leben auf niedrigem Niveau. Selbst Alltagsinvestitionen wie ein Reiskocher, der 200 Renmimbi (24 Euro) kostet, sind bei solchen Verdiensten ein Problem.


Arbeiterin Sin allerdings beschwert sich nicht – so bescheiden der Verdienst auch sein mag. „Im vergangenen Jahr“, sagt sie, „war der Lohn wirklich schlecht.“ Jetzt aber zahle die Firma mehr. Möglicherweise hat der Streik etwas genützt.


Der Sitzungsraum in Verwaltungsgebäude, 300 Meter von der Kantine entfernt, dunkle, schwere Tische. Kenneth Leung, der General Manager der Fabrik, muss die Lohn-Frage anders beurteilen. „Die Leute können von dem Lohn leben, den wir zahlen“, sagt der 49Jährige. Seit acht Jahren arbeitet er hier, seit vier Jahren ist er Chef.


Leung ist ein lockerer Typ, für den Gast und die Übersetzerin nimmt er sich jede Menge Zeit, obwohl sie weit vor dem vereinbarten Termin erschienen sind. Statt Anzug trägt er helle Hose und blaues T-Shirt. Er ist einer, der mit seinen Leuten lachen kann. Als er den Aufzug in die Managementetage nimmt, während andere zu Fuß gehen, scherzt der Chef der Sportartikelfirma, man solle nicht zu viel Sport treiben. Schließlich kriecht er unter den Tisch und stöpselt seinen Laptop ein.


Neben Leung sitzt Hilde Gunn Vestad. Die 42jährige Norwegerin, blond, resolut und straff, ist extra aus Hongkong angereist. Als Regionalmanagerin von adidas ist sie die wichtigste Person im Raum und achtet auf jedes Wort.


Leung erklärt, die Arbeiter in seiner Fabrik würden grundsätzlich auf der Basis des Mindestlohns bezahlt, den die Provinzregierung von Guangdong festsetze. Im Klartext heißt das: Wer keine Überstunden macht und keinen Akkordlohn für hohe Stückzahlen erhält, geht mit 1.100 Renmimbi (130 Euro) nach Hause. Damit räumt der Fabrikchef ein, dass er den Verhaltenskodex des adidas-Konzerns, für den die Firma zu fast 100 Prozent arbeitet, nicht einhält. Denn unter "angemessenen Löhnen" versteht adidas "ein den örtlichen Mindestlohn übersteigendes Grundgehalt". Halb so schlimm, meint Leung. Denn tatsächlich bekämen alle ArbeiterInnen zusätzlichen Lohn in Form von Akkord-Zuschläge und Überstunden-Bezahlung. Das durchschnittliche Gehalt betrage dann rund 1.800 Renmimbi (213 Euro).

 

Vestad verwahrt sich dagegen, dass Tien Sung als wichtiger Zulieferer den Verhaltenskodex von adidas missachte. Würde sich dieser Eindruck bei den Verbrauchern in Europa festsetzen, hätten die Kritiker gewonnen. Also interpretiert die Norwegerin die Angelegenheit so: Ihr Unternehmen habe sich das Ziel gesetzt, mehr zu zahlen als Mindestlohn. Und Ziele seien eben Ziele, weil sie erst noch erreicht werden müssten.


Und was sagt Vestad zum Vorwurf der Sacom-Rechercheure, dass die ArbeiterInnen von ihrem Lohn kaum leben könnten? „Wieviel ein Arbeiter hier zum Leben braucht, ist sehr schwer zu berechnen“, so Vestad, „in die Realität umsetzbare Konzepte für einen existenzsichernden Lohn gibt es bislang nicht.“


Anrufen kann man in dieser Sache auch bei Frank Henke am Konzernsitz im bayerischen Herzogenaurach. Der oberste Manager für soziale und ökologische Fragen analysiert, dass "die Mindestbedarfe der Beschäftigten in China durch den Lohn abgedeckt" seien. Aber er räumt auch ein, dass die Bezahlung beim Zulieferer Tien Sung nicht das Niveau erreiche, dass die Gewerkschafter als Lebenshaltungskosten bezeichnen. Fragt man Henke, warum adidas und Tien Sung jedem Beschäftigten nicht einfach ein paar hundert Renmimbi mehr gebe – angesichts des Gewinns der Firma wäre dies möglich – so antwortet er: „Höhere Zahlungen an die Zulieferer würden zu einem wesentlich höheren Verkaufspreis führen und die Produkte damit weniger wettbewerbsfähig machen. Ein Großteil der Kunden ist nicht bereit dafür zu zahlen. Außerdem sind wir als börsennotiertes Unternehmen unseren Aktionären gegenüber verpflichtet, eine Wertschöpfung zu erzielen.“


In der Produktionshalle leuchtet Neonlicht, die Nähmaschinen surren laut, aber nicht ohrenbetäubend. Sie stehen in langen Reihen – jeweils 15 bis 20 Arbeitsplätze nebeneinander. Insgesamt arbeiten hier rund 300 Beschäftigte, meist junge Frauen.


Chen Dawei ist aus der Mittagspause zurückgekehrt. Mit gebeugtem Rücken sitzt er wieder an der Maschine. 500 Mal oder mehr pro Tag verrichtet er die gleichen Handgriffe. Vom Stapel links neben der Maschine nimmt Chen zwei rot Stoffdreiecke, legt ihre langen Kanten unter der Nadel aneinander, näht sie zusammen und wirft das verbundene Stück auf den Stapel rechts. Fertig, her mit den nächsten Dreiecken. Am Ende der Kette, in der Chen sitzt, ist das adidas-Shirt versandfertig. 50 solcher Produktionsketten kann die Firma betreiben, 50 unterschiedliche Aufträge gleichzeitig abarbeiten.


Seine Arbeitszeit, sagt Chen, betrage normalerweise acht Stunden pro Tag. Hinzu kämen vier tägliche Überstunden. Und samstags arbeite er eine weitere Schicht mit zwölf Stunden. Sechs Tage Arbeit, 72 Stunden pro Woche. Das führt zu einem Lohn von umgerechnet 70 bis 80 Euro-Cent pro Stunde.


Ist das moderner Manchester-Kapitalismus? Die Arbeiter schuften nicht in Lumpen, sie haben keine blutigen Hände. Aber sie haben kaum eine Wahl bei ihrem großen Sprung vom Land in die Stadt. Sie müssen Jobs machen, die man keinem Europäer mehr anbieten kann, auch viel zu harte Arbeit für lächerlich wenig Geld. Bei all dem erweckt der drahtige Chen Dawei nicht den Eindruck, als würde ihn seine Lage sonderlich stören. Im Gegenteil: Er spricht davon, dass er sich bald einen Computer kaufen wolle, um in seinem Heimatort ein Business zu eröffnen - was, weiß er noch nicht genau.


Chens lange Arbeitszeiten sind allerdings für adidas ein Problem. Denn die 72 Stunden sind viel mehr, als der Konzern in seinem Verhaltenskodex erlaubt. Dort heißt es: „Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Mitarbeiter darf, mit Ausnahme außergewöhnlicher Umstände, einschließlich Überstunden 60 Wochenstunden nicht überschreiten.“


Deshalb gibt sich Hilde Gunn Vestad sehr entschlossen. Wolle ein Zulieferer die Arbeitszeit über 60 Stunden hinaus erhöhen, müsse er sich das von adidas genehmigen lassen. Wenn höhere Gewalt wie Hochwasser oder länger andauernder Stromausfall vorliege, stimme man solchen Ansinnen in absoluten Ausnahmefällen zu. „Generell beträgt die maximale Arbeitszeit aber 60 Stunden Arbeit pro Woche“, sagt Vestad. Eine klare Aussage. Was bedeutet sie? Erzählt der Arbeiter Chen Märchen, oder weiß adidas nicht, was in den Zulieferbetrieben los ist?


„Es ist ein Katz und Maus-Spiel“, sagt der Arbeiteraktivist Apo Leong. Im adidas Flagship-Store an der wühligen Hankow Road in Hongkong greift er sich eines der Shirts aus chinesischer Produktion. „Aber die Katze kann nicht immer jagen.“ Der 60jährige Leong, der schon manche Protestaktion gegen adidas veranstaltet hat, erklärt, was er meint: Nur ab und zu würden die Kontrolleure von adidas in den Fabriken auftauchen. Seien sie wieder abgereist, bräuchte sich die Zulieferer nicht mehr um die Vorschriften des deutschen Konzerns zu scheren – bis zum nächsten Besuch.


Unterstellt, adidas wollte wirklich etwas gegen die Missstände unternehmen, was wäre dann zu tun? Das Unternehmen müsse seine Zulieferer drängen, so Leong, mit den ArbeiterInnen über höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Das Recht auf Kollektivverhandlungen sei der Dreh- und Angelpunkt. Dieses Recht aber haben die ArbeiterInnen in China nicht. Unabhängige Gewerkschaften sind verboten.


Das weiß auch adidas-Sozialchef Frank Henke. Er sagt: „Die staatliche Gewerkschaft vertritt die Interessen der Beschäftigten nur sehr begrenzt. Wir setzen uns aber dafür ein, Verbesserungen in den Betrieben voranzutreiben.“ So berichtet Henke über die adidas-Hotline, bei der sich die chinesischen Arbeiter über die Zustände in den Zulieferfirmen beschweren könnten. Arbeiter Chen kennt diese Nummer, hat sie aber noch nicht ausprobiert.


Ist es wirklich möglich, dass Unternehmen in positivem Sinne subversiv wirken können? Wollen sie nicht eigentlich nur möglichst viel Geld verdienen? Auch an der Hankow Road werden die Besucher von den drei erleuchteten Streifen in den adidas-Laden geleitet. Läuft man ein bisschen darin herum, findet man an einer Wand das Motto: "Impossible is nothing". Die Veröffentlichungen der Kampagne für Saubere Kleidung dürften helfen, dass adidas sein eigenes Motto ernst nimmt und die Latte noch ein Stück höher legt.


* Name geändert

« Zurück | Nachrichten »