Eine Landwirtschaft für alle gibt es nicht

Verbraucherinteressen, Umweltschutz und Landwirtschaft passen schwer unter einen Hut / zum Auftakt der Grünen Woche will Aigner den Tierschutz fördern

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Von Wolfgang Mulke

19. Jan. 2012 –

Räumlich trennen Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner nur ein paar Meter von den Vertretern des Agrarbündnisses auf dem Berliner Messegelände. Inhaltlich liegen Welten zwischen der CSU-Politikerin, die gerade ihre neue „Charta für Landwirtschaft und Verbraucher“ vorstellt und den Kritikern der industriellen Erzeugung von Lebensmitteln, die mit einem eigenen Bericht zur Situation in Äckern und Ställen aufwarten.

Streitpunkt ist wie schon häufig die Massentierhaltung, die gerade erst wegen der Keimbelastung von Geflügel in die Schlagzeilen geraten ist. „97 Prozent aller Puten und 96 Prozent aller Masthühner werden mit Antibiotika behandelt“, sagt Heidrun Betz vom Agrarbündnis. Der Verein macht die Massenhaltung des Geflügels für dessen Krankheitsanfälligkeit verantwortlich. Neun von zehn Puten leben in Betrieben mit über 10.000 Tieren. Bei Masthähnchen drängen sich drei Viertel des Bestands in Ställen mit mehr als 50.000 Artgenossen. Ohne den starken Einsatz von Arzneien sei diese Haltungsweise nicht zukunftsfähig. „Erforderlich ist ein grundlegender Systemwechsel zu kleineren Beständen“, glaubt Betz. Denn die verabreichten Antibiotika sind auch für den Menschen gefährlich, weil als Folge resistente Keime in Umlauf gelangen, die eine Behandlung von humanen Kranken verhindern können.

Aigner will den Einsatz von Antibiotika in den Ställen zwar reduzieren. Doch an einer auf Leistung getrimmten Landwirtschaft hält sie fest. Die Ministerin weiß um den Spagat, den Agrarpolitiker weltweit leisten müssen. „Ohne die Ernährungswirtschaft werden wir den Kampf gegen den Hunger nicht gewinnen“, sagt Aigner und wirft den Kritikern vor, sie würden „Schlachten von gestern“ schlagen. Im Agrarsektor habe sich bereits vieles geändert habe.

Mit der Charta versucht die Ministerin, alle Ansprüche an eine sichere Versorgung mit Lebensmitteln unter einen Hut zu bringen. Dazu beigetragen alle möglichen Interessengruppen. Die Kirchen saßen ebenso mit am Tisch wie Tierschützer und Verbraucherorganisationen. Natürlich waren auch die Abgesandten der Industrie und der Bauern mit dabei. „Eine Brücke zwischen Landwirtschaft und Verbrauchern“ sollte dabei herauskommen, wie Aigner sagt.

An einigen zentralen Zielen will sie ihre Politik nun verstärkt orientieren. Regionale Wirtschaftskreisläufe werden gestärkt und bäuerliche Betriebe besonders gefördert. Der Verbrauch wertvoller Agrarflächen wird verringert, knappe Ressourcen werden geschont. Die Exporterstattungen für Landwirte will Aigner abschaffen und so Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Entwicklungsländer verringern. Denn der Kampf gegen den Hunger in der Welt ist ein übergeordnetes Ziel. Dazu soll die Landwirtschaft ökologisch verträglich und ökonomisch existenzfähig bleiben.

Auch der Tierschutz soll verstärkt werden. „Ich setze mich für ein „Tierwohl-Label ein“, versichert die Politikerin. Ein überall verbindliches Gütesiegel für die gute Behandlung der Nutztiere kann allerdings nur europaweit eingeführt werden. Eine freiwilliges nationales Siegel lehnt Aigner ab. Das Wohl der Tiere entscheidet sich mit den Umständen ihres Lebens. Eine Abkehr von der Massentierhaltung würde sich im Preis für Koteletts oder Hähnchen jedoch kräftig niederschlagen. Ein Biohuhn kostet das Dreifache eines herkömmlich aufgezogenen. Immerhin sollen Betriebe, die das Wohl der Tiere im Auge behalten, besonders gefördert werden.

Wer sich jedoch eine Abkehr von der Agrarindustrie erhofft hat, wird enttäuscht sein. So kritisieren die Grünen die Charta denn auch heftig als „Sammelsurium an Ankündigungen“, wie deren agrarpolitischer Sprecher Friedrich Ostendorff es nennt. Auch in der Verbraucherpolitik komme die Ministerin nicht über Versprechen hinaus. Allerdings vergessen die Grünen, dass aus der Forderung „Klasse statt Masse“ in ihrer Regierungszeit auch nicht viel Neues entstanden ist.

Eine Revolution in der Landwirtschaft ist auch kaum vorstellbar. Denn die Zielkonflikte verhindern einen Konsens für eine andere Art der Landwirtschaft. Das weltweite Bevölkerungswachstum und der Energiehunger sorgen für einen steigenden Bedarf an landwirtschaftlichen Produkten. Auf eine leistungsorientierte Erzeugung wird kein Land verzichten können. Das wird sich auch in den kommenden Tagen auf der Grünen Woche zeigen. Denn auf dem Treffen der Agrarminister, die aus über 70 Ländern anreisen, geht es um das große Thema Welternährung.

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