"Eine Schrotflinte, die alles trifft"

Internet-Unternehmer Arne Sigge kritisiert die geplante EU-Richtlinie zum Urheberrecht. Auch private Vereine könnten betroffen sein. Demonstrationen in vielen Städten am 23. März 2019.

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Von Hannes Koch

20. Mär. 2019 –

Hannes Koch: Die Europäische Union möchte Texte, Musik und Fotos im Internet besser schützen. Sie will durchsetzen, dass die Urheber Honorare bekommen, wenn andere ihre Arbeiten veröffentlichen, ohne sie zu fragen. Warum kritisieren Sie das?

Arne Sigge: Die Grundidee ist absolut richtig. Aber die vorgeschlagene Lösung scheint mir nicht praktikabel zu sein. Leute mit wenig Ahnung vom Internet haben eine Art Anti-Youtube-Gesetz gemacht, dabei aber übersehen, dass man damit auch viele kleine Webseiten reguliert. Sobald eine Webseite länger als drei Jahre am Markt ist, Werbebanner schaltet oder auf Sponsoren verweist, ist sie kommerziell ausgerichtet und fällt unter die EU-Richtlinie. Der aktuelle Entwurf führt dazu, dass nicht nur Firmen wie Youtube, Google oder Facebook alle Inhalte vor dem Hochladen daraufhin überprüfen müssten, wer die Rechte besitzt.

Koch: Eigentum, auch geistiges, ist in unserer Rechtsordnung geschützt. Wo sehen Sie das Problem?

Sigge: Der Schutz des geistigen Eigentums muss weiterhin gelten. Nur können kleine Webseiten keinen eigenen Uploadfilter entwickeln oder betreiben. Dazu müssen sie Dienstleister wie Google oder Amazon beauftragen – und bezahlen. Die entscheiden dann, was veröffentlicht wird – ein Unding.

Koch: Private Vereine wissen, was auf ihren Seiten steht. Warum sollten sie Prüfdienstleister einschalten, um Urheberrechte zu checken?

Sigge: Auf vielen Seiten gibt es Foren, in denen Texte, Videos und Fotos hochgeladen werden. Die EU-Richtlinie ist aktuell eine Schrotflinte, die alles trifft, auch wenn es möglicherweise anders beabsichtigt war.

Koch: Nehmen wir an, auf eine solche Seite will jemand ein Video stellen, in dem eigene und fremde Bilder kombiniert wurden. Was könnte passieren?

Sigge: Der installierte Upload-Filter erkennt vielleicht eine Rechteverletzung, weil ein Teil des Videos bereits geschützt sein könnte. Oder im Hintergrund läuft zufällig ein bekanntes Musikstück. Dann sperrt der Filter den Film. Er wird nicht veröffentlicht. Das geht in Richtung Zensur.

Koch: Leute, die die EU-Richtlinie unterstützen, sagen, dass von Zensur-Filtern dort keine Rede sei. Stattdessen von Verfahren und Institutionen, die Geld von den Verwertern eintreiben und es an die Urheber ausschütten. So etwas gibt es bereits: Die Gema kassiert beispielsweise in Clubs und überweist Honorare an Bands, deren Musik dort gespielt wird. Warum nicht auch im Netz?

Sigge: Klingt gut. Aber wie soll das funktionieren? Nicht nur Youtube, Instagram und Snapchat müssten an diesem Verfahren teilnehmen, sondern alle Leute, die irgendwann mal etwas hochladen. Das kommt mir unrealistisch vor. Pauschalabgaben an Verwertungsgesellschaften sind aufgrund des Textes der Richtlinie nicht möglich.

Koch: Vielleicht führt man eine Bagatellgrenze ein?

Sigge: Ja, vielleicht. Aber auch das steht nicht in der Richtlinie. Das Vorhaben ist unausgegoren und sollte überarbeitet werden.

Koch: Wenn nicht – würden Sie Vereinen dann raten, ihre Seiten abzuschalten?

Sigge: Nein. Aber Foren, Kommentarfunktion und andere Upload-Möglichkeiten sollten deaktiviert werden, solange gleichzeitig Werbebanner, Links zu Sponsoren oder kostenpflichtigen Angeboten auf der Seite zu finden sind – jedenfalls bis die Rechtslage geklärt ist.

Koch: Sie sind selbst Internet-Unternehmer. Befürchten Sie, dass Ihre Firma finanziellen Schaden erleidet?

Sigge: Aktuell nicht, denn wir setzen bereits seit neun Jahren einen kostenpflichtigen Uploadfilter für Texte ein. Das tun wir, um beispielsweise Plagiate zu vermeiden. Er wird sich allerdings zeigen, ob diese Technik künftig noch ausreicht. Gegenwärtig zahlen wir etwa vier Cent für die Prüfung einer A4-Seite Text. Einen Teil davon bekommt Google. Ich bin gespannt, welche Preise die Anbieter später aufrufen.

 

Arne-Christian Sigge (47) ist einer der drei Vorstände der content.de AG in Herford. Die Firma ist ein Crowdworking-Marktplatz.

 

In Dutzenden europäischen und deutschen Städten sollen am Samstag, 23. März 2019, Demonstrationen gegen die geplante Urheberrecht-Richtlinie der EU stattfinden. Darunter sind unter anderem Berlin, Bielefeld, Dortmund, Erfurt, Frankfurt/M., Freiburg, Hamburg, Köln, München, Ravensburg und Stuttgart.

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