Eingemauert in der Arbeitslosigkeit

Die Sozialstaatsdebatte muss nun dazu führen, die Lage der Armen und Erwerbslosen zu verbessern. Sie sollten mehr selbst verdientes Geld behalten dürfen

Teilen!

Von Hannes Koch

24. Feb. 2010 –

Die Debatte über den Sozialstaat ist in vollem Gange. Am Donnerstag griff die Opposition die Regierung im Bundestag an, weil FDP-Chef Guido Westerwelle Arbeitslose als „dekadent“ beschimpft hatte. Tagszuvor traf sich Kanzlerin Merkel mit Westerwelle und CSU-Chef Seehofer, um über die Folgen des Hartz-IV-Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu beraten. Leider geht es in diesen Diskussionen vornehmlich um die beste Position in der öffentlichen Debatte – und meist nicht darum, was Erwerbslosen und Armen tatsächlich hilft.


Die Armut in Deutschland nimmt zu. Vor allem Kinder kostet sie Lebenschancen. Deshalb wird an besseren Sozialleistungen, die das Verfassungsgericht angemahnt hat, kein Weg vorbeiführen. Möglicherweise ist auch eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes II notwendig, die Westerwelle mit seinen Dekadenz- und Sozialismus-Vorwürfen gerade verhindern will. Und trotzdem handelt es sich bei diesem Weg nur um den zweitbesten.


Eigentlich geht es doch darum, dass Erwerbslose eine neue Arbeit finden, die es ihnen ermöglicht, ihr eigenes Leben selbst zu finanzieren – und damit auch ihren Kindern ein Vorbild für ein selbsttätiges Leben zu sein.


Vor allem zwei Hindernisse existieren, die den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt erschweren. So verhindern die Regelungen für den Hinzuverdienst für Erwerbslose, dass diese sich einen neuen Job mit leidlicher Bezahlung suchen. Der widersinnige Mechanismus ist dieser: Hartz-IV-Empfänger, die zusätzlich arbeiten wollen, dürfen nur die ersten 100 Euro ihres selbstverdienten Lohnes behalten, jenseits dieser Grenze müssen sie 80 Prozent abgeben. Der Staat tut hier sein Möglichstes, um den materiellen Anreiz zur Jobsuche zu zerstören. Theoretisch haben auch FDP und Union diesen Missstand erkannt, eine praktische Änderung ist allerdings nicht in Sicht.


Eine ähnliche Hürde steht an anderer Stelle. Selbst Geringverdiener müssen ab 800 Euro brutto pro Monat die vollen Sozialabgaben von rund 20 Prozent zahlen. Gut 160 Euro sind sofort perdu. Die arbeitenden Niedriglöhner rutschen damit unter das Niveau von Hartz-Empfängern, und der Anreiz zur Arbeitssuche wird konterkariert. Weil die Arbeitgeber zudem zusätzlich 20 Prozent Sozialabgaben entrichten müssen, erscheint ihnen die Niedriglohnjobs oft als zu teuer. Um diesen Nachteil zu beseitigen, sollten die Sozialabgaben bis zu einer Höhe von größenordnungsmäßig 1.500 Euro brutto nur allmählich steigen. Bei der steuerlichen Progression ist das ähnlich geregelt.


Beide Regelungen führen heute dazu, dass Erwerbslose in der Arbeitslosigkeit quasi eingemauert werden. Die Rahmenbedingungen sind gewiss nicht alles – aber hier verschlechtern sie die Aussichten derjenigen deutlich, denen man helfen will. Anstatt in liberaler Arroganz über Dekadenz und Schmarotzertum zu fabulieren, sollte Westerwelle sich daran erinnern, was im Koalitionsvertrag steht. Dort haben Union und FDP niedergelegt, die „Arbeitsanreize beim Hinzuverdienst zu stärken“.

« Zurück | Nachrichten »