Eltern kennen keine Atempause

Serie "Familie und Wirtschaft" Teil 2

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Von Wolfgang Mulke

20. Dez. 2012 –

Wenn Silvia F. nach der Arbeit als Betreuerin psychisch Kranker nach Hause kommt, wartet dort eine zweite Schicht. Sohn Liam will betreut werden, spielen, bei den Hausaufgaben Hilfe erhalten. Die 40-jährige erzieht den Sohn allein. Die Verwandten wohnen weit weg und können nicht helfen. Für Freunde bleibt kaum Zeit. „Es ist immer etwas Dringendes zu tun“, sagt sie, „ich weiß oft nicht, wie ich alles schaffen soll.“ Mit knapp 1.400 Euro netto für die 30-Stunden-Woche sind auch finanziell keine großen Sprünge drin. Silvia F. steckt in der „Rush-Hour des Lebens“ fest.

 

Diesen Begriff verwendet der Familienforscher Hans Bertram von der Berliner Humboldt-Universität, wenn er das Dilemma der Deutschen im Alter zwischen dem 25. und dem 45. Lebensjahr beschreibt. Gleichzeitig sollen junge Leute den Berufseinstieg schaffen, die ersten Karrieresprossen erklimmen, einen Partner suchen und anschließend Kinder erziehen und das Häuschen bauen. Da führt zu einer permanenten Überforderung dieser Generation. Bei Alleinerziehenden ist dieses Problem besonders stark. Daraus ergibt sich für Bertram die Erkenntnis, dass Familienförderung vor allem Zeit für alle Aufgaben verschaffen soll. Hier stehen Unternehmen und Staat gleichermaßen in der Pflicht, einerseits den Bedürfnissen der Eltern bei der Gestaltung der Arbeitsplätze mehr zu entsprechen, andererseits die Bildungskarriere zu verlängern.

 

Es gibt mehrere Gründe für die Konzentration der Belastungen auf eine Zeitspanne im Leben. So haben sich die Biographien der Frauen in den vergangenen 40 Jahren massiv verändert. „In Deutschland ist die Zeit im Lebenslauf, in der sich junge Frauen für Kinder entscheiden, auf ein ganz kleines Zeitfenster zwischen dem 29. und 34. Lebensjahr reduziert worden“, beobachtet Bertram. Noch in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts bekamen die meisten Mütter das erste Kind mit Mitte 20, und mit etwa 33 Jahren das letzte. Zugleich ist der Abstand zwischen den Geburten gesunken. Erziehung ist nur noch ein Abschnitt des Lebens, nicht sei Inhalt.

 

Auch die Arbeitswelt hat sich so verändert, dass die Entscheidung für Kinder entweder spät oder gar nicht fällt. Junge Frauen erwerben immer bessere Bildungsabschlüsse und sind dadurch zeitlich stark eingebunden und verfügen kaum über eine eigene materielle Basis. Das ändert sich im Gegensatz zu früher auch beim Einstieg in den Beruf nicht sofort. Viele Berufe bieten heute zum Einstieg nur befristete oder projektorientierte Arbeitsmöglichkeiten. Die finanzielle Sicherheit und ein hoher Verdienst werden oft erst nach dem 40. Lebensjahr erreicht.

 

Die Herausforderung besteht in der Entzerrung der Rush Hour des Lebens. Länder wie Schweden, wo der Staat das Armutsrisiko junger Familien reduziert oder die USA, wo es auch nach der Kindererziehungzeit noch berufliche Chancen gibt, sind Beispiele für flexiblere Lebensläufe als bei uns, wo nach wie vor starr erst eine Ausbildung absolviert, dann die Familie gegründet wird.

 

Es gibt auch in Deutschland gute Beispiele aus Unternehmen. Eines davon ist die Bosch-Gruppe, die in diesem Jahr zum familienfreundlichsten Großunternehmen Deutschlands gewählt wurde. In den Betrieben gibt es mehr als 100 Arbeitszeitmodelle, von der verkürzten täglichen Arbeitszeit bis hin zum Teilen des Jobs. Das bringt den Eltern keine Nachteile ein. „Mitarbeiter/-innen in Teilzeit erhalten die gleichen Chancen wie Vollzeitbeschäftigte“, erläutert Bosch-Sprecher Christoph Zemelka. Auch will das Unternehmen weg von der Präsenzkultur zu flexiblen Modellen, bei denen die Angestellten auch mal von Zuhause aus arbeiten können. Es ist also möglich, den Eltern die Zeit zu geben, die sie dringend brauchen.

 

 

 

 

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