Energiewende soll langsamer werden
Die Bundesländer wollen die Ökoenergie stärker ausbauen, als es der Bundesregierung lieb ist
02. Nov. 2012 –
Ihre Pläne für den Ausbau der erneuerbaren Energien muss manche Landesregierung bald möglicherweise zurückschrauben. Nicht alle Länder würden „ihre maximalen Ziele umsetzen“ können, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) nach einem Spitzentreffen zur Energiewende am Freitag im Bundeskanzleramt.
Um die unterschiedlichen Pläne für den Ausbau der Ökoenergien abzustimmen, trafen sich die Regierungen der 16 Länder mit Kanzlerin Angela Merkel. Jetzt wolle man die Energiewende besser koordinieren und „an einem Strang ziehen“, lautete die offizielle Sprachregelung. „Im nationalen Dialog arbeiten wir gemeinsam, ohne die Dynamik des Ausbaus zu brechen“, betonte Merkel.
Im Vorfeld gab es erhebliche Differenzen. So will Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) die Ziele der Bundesländer für den Zubau von Wind-, Solar- und Biomassekraftwerken deckeln. Er befürchtet, dass sonst die Stromkosten, die Privathaushalte und Unternehmen tragen müssen, zu schnell und zu stark steigen. Altmaier hat unlängst als Devise ausgegeben, dass 2020 rund 40 Prozent des Stroms aus ökologischen Kraftwerken stammen soll.
Wenn die Bundesländer ihre gegenwärtigen Ziele verwirklichten, würde Altmaiers Marke bei weitem übertroffen. Dies ist abzulesen an den Zahlen, die die Bundesländer für den Netzentwicklungsplan 2013 an die Bundesnetzagentur geschickt haben. Rechnet man die Ausbauziele der einzelnen Länder zusammen, ergibt sich für das Jahr 2023 eine Spitzenleistung der Ökokraftwerke von insgesamt 158 bis 168 Gigawatt (Milliarden Watt). Zum Vergleich: Das ist ungefähr so viel, wie die Leistung aller konventionellen und regenerativen Anlagen, die heute am Netz sind. Die Bundesregierung peilt demgegenüber ein viel niedrigeres Ziel an. Im „Nationalen Aktionsplan für erneuerbare Energien“ ist eine Öko-Leistung von 110 Gigawatt für 2020 angegeben.
Ein Kompromiss zwischen den Positionen solle nun erarbeitet werden, sagte Schleswig-Holsteins Landeschef Albig. Vor dem Treffen hatte er ausdrücklich die Interessen seines Landes vertreten. „Es liegt doch auf der Hand, dass wir den Wind in erster Linie dort ernten, wo er am stärksten weht, und das ist nun mal eindeutig im Norden der Republik der Fall“, soAlbig.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) äußerte sich gegen die Begrenzung des Ökostrom-Ausbaus. „Wir müssen den Ausbau so moderieren, dass er ins System passt, aber nicht deckeln. Wir wollen ja weiterkommen und unsere selbstgesteckten Ziele erreichen“, sagte Kretschmann vor dem Spitzentreffen. Im Südwesten betrage der Anteil der Windkraft an der Stromerzeugung nicht einmal ein Prozent. „Wir wollen auf zehn Prozent kommen bis zum Jahr 2020. Davon werde ich mich nicht abbringen lassen“, sagte Kretschmann.
Auch Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) wollte nicht verzichten. Notwendig sei „ein klares Bekenntnis zum weiteren Ausbau der Offshore-Windenergie“, sagte McAllister.
Die Koordination der verschiedenen Ziele ist auch deshalb notwendig, weil von Ort und Leistung der künftigen Kraftwerke abhängt, welche Stromleitungen erweitert oder neu gebaut werden müssen. Entstehen beispielsweise in Baden-Württemberg viele Windkraftwerke, kann man möglicherweise auf eine der vier Höchstspannungstrassen verzichten, die nach gegenwärtiger Planung die Elektrizität von den Windparks auf Nord- und Ostsee nach Süden transportieren sollen.
Kasten
Strom im Winter
Zwei große Kraftwerke für die Stromproduktion hat die Bundesnetzagentur für den kommenden Winter als Reserve eingeplant. Damit soll verhindert werden, dass es nach dem Atomausstieg zu Engpässen komme, sagte Kanzlerin Merkel nach dem Spitzengespräch am Freitag. Für das kommende Jahr kündigte die Kanzlerin einen „ordnungspolitischen Rahmen“ an, damit günstige Reservekraftwerke jederzeit zur Verfügung stünden, um Produktionslöcher der erneuerbaren Energien auszugleichen. Dabei lautet eine Frage: Wer bezahlt die Kraftwerke, wenn sie nicht laufen?