Erfülltes Leben statt ständiges Wachstum

Ecuadors Präsident Correa: teilweise Abkehr vom westlichen Wohlstands- und Fortschrittsmodell

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Von Hannes Koch

16. Apr. 2013 –

Sehr verlockend klingt, was die lateinamerikanischen Länder Ecuador und Bolivien in ihre Verfassungen geschrieben haben. Den Einwohnern wollen sie ein „gutes, erfülltes Leben“ ermöglichen. Rafael Correa, der Präsident Ecuadors, ist einer der prominentesten Protagonisten einer teilweisen Abkehr vom westlichen Werte- und Wohlstandsmodell - am Dienstag besuchte er Berlin.


Lateinamerika-Konferenz der deutschen Wirtschaftsverbände: Für hiesige Unternehmen und Konzerne stehen Investitionen und Absatz im Vordergrund – Erdöl, Metallbergbau, Verkauf von Maschinen und Fahrzeugen. Wenn Correa spricht, schwingt eine abweichende Botschaft mit: Euer europäisches Wirtschafts- und Wachstumssystem akzeptieren wir nicht mehr. Denn „buen vivir“ (gutes Leben) bedeutet etwas ganz Anderes.


Das Konzept wurde in Ecuador und Bolivien entwickelt in Anlehnung an die Tradition und den Glauben der indigenen Völker der Anden. Seit 2006 und 2008 steht das „gute Leben“ in den Verfassungen der beiden Staaten.


Während im deutschen Grundgesetz die politischen Rechte der Staatsbürger eine zentrale Stellung einnehmen, definiert die Verfassung Ecuadors auch soziale und ökonomische „Rechte des guten Lebens“. Dazu gehören unter anderem der Anspruch auf ausreichende Ernährung, Gesundheit, Erziehung und Zugang zu sauberem Wasser.


Darüber hinaus beinhaltet diese politische Vision aber auch einige Prinzipien, die sich grundsätzlich vom Konzept der europäischen Aufklärung und dem daraus erwachsenen demokratisch-marktwirtschaftlichen System unterscheiden. „Buen Vivir ist scharf abgegrenzt von der Idee des individuellen guten Lebens“, so Thomas Fatheuer, ehemaliger Leiter der grünen Böll-Stiftung im brasilianischen Rio de Janeiro, „es ist nur im sozialen Zusammenhang denkbar, vermittelt durch die Gemeinschaft, in der die Menschen leben.“


Demzufolge bestreiten manche Befürworter die Legitimität von Privateigentum und Ausbeutung der Arbeitskraft Lohnabhängiger. Permanenter materieller Fortschritt, unausgesetztes Wirtschaftswachstum und Steigerung des individuellen Wohlstandes, wie sie in den alten Industriestaaten praktiziert werden, haben in dem lateinamerikanischen Konzept ebenfalls keinen Platz. Statt ständiger Verbesserung geht es um einen stabilen Gleichgewichtszustand, bei dem die Menschen mit sich, ihrer Gemeinschaft und der Natur in Einklang leben.


Diese Ideen bleiben nicht nur Theorie, sondern haben die Politik bereits an einigen Punkten verändert. Gegen die Interessen der USA will die bolivianische Regierung ihren indigenen Bauern beispielsweise den Anbau der traditionellen Koka-Pflanze erlauben. Und Ecuadors Präsident Correa hat vorgeschlagen, in der Yasuni-Region im Amazonas-Urwald kein Erdöl fördern zu lassen, wenn seinem Land ein Teil der entgangenen Einnahmen durch einen Fonds der Vereinten Nationen erstattet würde.


Dieses Vorhaben, das Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) nicht unterstützt, verschafft Correa die Sympathie von Kritikern des Wirtschaftswachstums unter anderem in Deutschland. Allerdings ist die Haltung der Regierung Ecuadors nicht eindeutig. Correa droht, das Erdöl fördern zu lassen, wenn die Industrieländer den Verzicht darauf nicht bezahlen sollten. Das Geld braucht Correa unter anderem für seine Programme zu Armutsreduzierung.

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