Erst forschen, dann aufbrechen

Umweltverbände plädieren für ein Verbot der neuen Erdgasförderung. Die Bundesregierung will sie dagegen unter Beschränkungen erlauben. Wie könnte ein Mittelweg aussehen?

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Von Hannes Koch

07. Mai. 2013 –

66 Prozent der befragten Bundesbürger sprachen sich Anfang Mai gegen die Förderung von Erdgas mittels Fracking aus. Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine relativ neue Methode – tiefes Gestein wird mit Druckwasser und Chemikalien aufgebrochen, damit das Gas an die Erdoberfläche befördert werden kann. Die Umfrage des Instituts TNS Emnid haben Umweltverbände am Dienstag veröffentlicht.


Dieses Stimmungsbild der Bevölkerung verschärft einen Konflikt, der in mehreren Bundesländern an Bedeutung gewinnt. Unter Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Baden-Württemberg liegen Gesteine, die Erdgas enthalten, das sich früher kaum fördern ließ. Durch neue Techniken kann man diese Vorkommen nun aber ausbeuten. Wie beim Bau von Stromtrassen oder Windparks stellt sich auch hier die Frage: Welche Risiken und Belastungen sind die Bürger bereit zu tragen?


Mit ihrem neuen Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett möglicherweise in der nächsten Woche beschließt, kommt die Bundesregierung den Bedenken teilweise entgegen. In Wasser- und Heilquellen-Schutzgebieten wäre die neue Erdgasförderung künftig nicht möglich. Ansonsten sieht die Regierung Umweltverträglichkeitsprüfungen vor, die jeweils über die Bohrungen entscheiden sollen.


Unter dem Strich bedeutet das jedoch: Auf etwa drei Vierteln der Fläche des Bundesgebietes wäre Fracking möglich – selbst gegen den erklärten Willen von skeptischen Landesregierungen wie in NRW oder Schleswig-Holstein. In Baden-Württemberg kritisieren auch CDU-Bundestagsabgeordnete, dass die Trinkwasser-Vorkommen der Bodensee-Region gefährdet sein könnten. Deshalb ist es nicht klar, ob die Bundesregierung für ihr Fracking-Gesetz eine Mehrheit im Bundestag bekäme – von der Zustimmung des Bundesrates ganz abgesehen.


Als Vorteile der neuen Ergas-Förderung führt die Regierung unter anderem ins Feld, dass Deutschland von Gas-Importen unabhängiger würde. Nach Schätzungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften liegen unter Deutschland etwa 1,3 Billionen Kubikmeter Erdgas, die sich durch Fracking heben lassen. Rechnerisch ist das der gesamte deutsche Gasbedarf für über zehn Jahre. Geschickt verteilt, können die neuen Quellen möglicherweise jahrzehntelang einen nennenswerten Beitrag zur eigenständigen Versorgung leisten.


Hinzu kommt: Durch das zusätzliche Angebot sinkt möglicherweise der Gaspreis. Die Entwicklung in den USA, wo seit mehreren Jahren große Mengen mittels Fracking gefördert werden, deutet daraufhin. Ob die vergleichsweise kleine deutsche Förderung den Preis noch weiter drückt, bleibt allerdings abzuwarten. Drittes Argument der Regierung: Die Investitionen in die neue Fördertechnik führen zu Arbeitsplätzen, Gewinnen und Steuereinnahmen hierzulande, während Importe aus anderen Staaten nur diesen dienen.


Der Bund für Umwelt und Naturschutz zweifelt dagegen an den ökonomischen Vorteilen. Möglicherweise seien die Lagerstätten unkonventionellen Erdgases viel schneller erschöpft, als die Unternehmen annehmen. Noch wichtiger sind den Kritikern aber die ökologischen Risiken. „Wir haben Sorgen um unser Grundwasser“, sagte Christoph Bautz von der Kampagnenorganisation Campact am Dienstag. Die Chemikalien, die beim Fracking ins Gestein gepresst würden, bedrohten großflächig das Trinkwasser und damit die Gesundheit der Bürger. Die Kritiker stellen die Sache so dar, als seien diese Gefahren durch Studien aus den USA bewiesen.


Dem allerdings scheint nicht so zu sein. Das Umweltbundesamt schreibt in seiner Studie vom November 2012, es fehle eine „belastbare Datengrundlage“, um die Umweltfolgen des Frackings in Deutschland bereits jetzt abzuschätzen. Die Experten empfehlen weitere Forschung.


Dieser Ansatz könnte einen Mittelweg beschreiben zwischen Bundesregierung und Kritikern. Deutschland steht gegenwärtig ökonomisch nicht unter Druck. Warum sollte man sich deshalb nicht etwas Zeit lassen? Während der kommenden fünf oder zehn Jahre ließen sich mit einigen Testvorhaben Erfahrungen sammeln. Wenn die ökologischen Folgen im Rahmen bleiben, kann man die Lagerstätten ausbeuten – falls nicht, lässt man es.

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