Erststart in der Nordsee

2024 hebt eine Rakete von einem Schiff ab

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Von Björn Hartmann

19. Okt. 2023 –

 

Jetzt ist es soweit. Im April kommenden Jahres startet erstmals eine Rakete von Deutschland aus ins All. Abheben wird sie in der Nordsee von einem Schiff aus, wie Siegfried Russwurm, Präsident des Industrieverbands BDI, zum Start des Weltraumkongresses in Berlin sagte. Noch ist es ein Testflug, doch das Firmenkonsortium hinter der Idee verspricht sich in Zukunft deutlich mehr Starts und gute Geschäfte. Die mobile Startrampe ist Teil des New Space, der Kommerzialisierung der Raumfahrt.

Immer mehr Industrien setzen auf das All: Weil sie den Überblick haben liefern, Satelliten präzise Wetterdaten, um Wind- und Solaranlagen effizienter betreiben zu können. Schienennetze und Straßen können aus dem All untersucht werden. Autonomes Fahren ist auf dauerhafte stabile Kommunikation und präzise Daten angewiesen. Und Daten zu Bodengüte, Wetter und Pflanzenwachstum helfen der Landwirtschaft, Felder präziser zu bewirtschaften. Geplant sind auch fliegende Fabriken und Bergbau auf dem Mond.

Bekannte Dienste sind der Positionsdienst GPS und Starlink, das stabiles Internet übers All anbietet und im Ukraine-Krieg die Kommunikation sicherstellt. Auch nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal, als die Telefonnetze zerstört waren, wurde es genutzt. Hatte der Markt für Dienste über Satelliten 2021 noch einen Umfang von 320 Milliarden Euro weltweit, schätzt ihn die Beratungsfirma Roland Berger 2040 auf 1,25 Billionen Euro.

Um solche Dienste anbieten zu können, sind ganze Schwärme von Satelliten nötig und günstige Raketen, die sie in schneller Folge ins All bringen. Weltweit versuchen Unternehmen, Satelliten zu verkleinern und industriell in großen Mengen herzustellen, um die Kosten zu senken. BST in Berlin etwa. Und auch Raketen sollen kleiner und billiger werden, allein in Deutschland entwickeln drei Firmen, RFA in Augsburg, Isar Aerospace in Ottobrunn bei München und HyImpulse in Neuenstadt, Baden-Württemberg, solche Microlauncher. Sie sind mit knapp 30 Metern Höhe deutlich kleiner als die Ariane 6 der Europäer (63 Meter) oder die Falcon 9 des US-Unternehmen Space X (gut 70 Meter).

All die Raketen müssen auch in den sogenannten Low Earth Orbit (Leo) in gut 500 Kilometer Höhe geschossen werden. Schweden und Norwegen haben sehr weit im Norden bereits Raketenstartplätze, auf der schottischen Insel Unst entsteht gerade ein weiterer. Das deutsche Festland ist zu dicht besiedelt, bleibt die Nordsee. Hinter dem Konsortium, dass ein Schiff als Startplatz anbietet, stehen unter anderem die Spezialreederei Harren Group, der Satellitenbauer OHB und BLG Logistics aus Bremen. Startplatz ist ein Entenschnabel genanntes Gebiet am äußersten Rand der Ausschließlichen Deutschen Wirtschaftszone.

„Wer im All nicht vorne mit dabei ist, wird auf der Erde kein Technologieführer sein“, sagte BDI-Präsident Russwurm. Noch entwickelt sich die Industrie weltweit, doch bereits jetzt zeichnet sich ab, dass Deutschland seine gute Position kaum halten wird. So investieren die USA, Frankreich und China deutlich mehr öffentliches Geld in den Raumfahrtsektor als Deutschland. Die Idee: Der Staat bestellt, die Privatwirtschaft findet Lösungen.

Gerade hat die Bundesregierung das Budget für Raumfahrt sogar gekürzt. Dabei sind Raumfahrt und New Space im Koalitionsvertrag als zentrale Zukunftstechnologien festgelegt. Zweifel daran, ob Deutschland es mit der Raumfahrt ernst meint, bremsen die Branche hierzulande, wie die Roland-Berger-Studie ermittelt hat. Matthias Wachter, Beim BDI verantwortlich für New Space spricht gar vom „Mühlstein der Bundespolitik“.

Wenn der Staat wenig investiert, bleiben auch private Investitionen aus. In den vergangenen zehn Jahren waren es insgesamt 0,9 Milliarden Euro in Deutschland, 1,3 Milliarden Euro in Frankreich. In China flossen 62,2 Milliarden Euro, in den USA sogar 73 Milliarden Euro. Neben dem Geld fehlen in Deutschland Fachkräfte. Dabei rechnen 52 Prozent der Unternehmen damit, dass Hilfe aus dem All sie konkurrenzfähiger macht, wie Roland Berger ermittelt hat. Offenbar kennen außerdem insgesamt zu wenig Menschen überhaupt weltraumgestützte Projekte und Dienste – was die Akzeptanz einschränkt.

Und dann ist da noch die Umwelt. Mehr Starts und mehr Satelliten bringen auch mehr Weltraumschrott. Schon jetzt zirkulieren viele Altsatelliten und Raumschiffreste in einer Art Müllorbit um die Erde. Ab und an stürzt ein Teil ab. Was nicht verglüht, landet auf der Erde. Das macht derzeit drei Prozent allen Materials aus, das in die Atmosphäre eintritt, wie eine Studie der Universität Braunschweig ergab. Es könnten bis zu 40 Prozent werden. Die Folgen sind noch unklar.

Space X arbeitete deshalb an wiederverwendbaren Raketen. Und auch die neue Ariane 6-Rakete der Europäer wird in Teilen mehrfach einsetzbar sein. Die europäische Raumfahrtagentur Esa investiert 100 Millionen Euro in eine Art Müllwagen fürs All. Bei dem Projekt soll Satellitenschrott eingesammelt werden. Um die Umweltfolgen beim Start zu verringern, experimentiert der Raketenbauer HyImpulse praktisch Kerzenwachs statt Kerosin als Brennstoff.

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