• Thilo Bode
    Bild: Foodwatch

„Es gibt kein Menschenrecht auf Steak!“

Kurz vor Beginn der Grünen Woche an diesem Donnerstag ist ein Streit über den Klimaschutz in der Landwirtschaft entbrannt.

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Von Wolfgang Mulke

11. Jan. 2010 –

 

 

Kurz vor Beginn der Grünen Woche an diesem Donnerstag ist ein Streit über den Klimaschutz in der Landwirtschaft entbrannt. Während die Bundesregierung die gängige Produktion der Bauern verteidigt, fordert der Chef der Verbraucherorganisation Foodwatch, Thilo Bode, ein Umdenken. Der 62-jährige prangert seit Jahrzehnten Missstände in der Umwelt- und Ernährungspolitik an, erst bei Greenpeace, jetzt als Gründer von Foodwatch.

 

Frage: Die Weltbevölkerung wächst bald auf neun Milliarden Menschen an, die alle satt werden wollen. Lässt sich eine ausreichende Produktion überhaupt mit unseren ökologischen und qualitativen Ansprüchen erreichen?

 

Thilo Bode: Wir müssen dafür an vielen Stellen handeln. Eine davon ist der Klimaschutz. Eine klimaneutrale Lebensmittelproduktion gibt es nicht. Sie trägt jedoch mehr zur Erderwärmung bei, als die Bundesregierung zugibt. Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner verbreitet bewusst falsche Informationen und rechnet den Ausstoß von Klimagasen in der Landwirtschaft um die Hälfte herunter. Auch beim Bauernverband und bei den mächtigen Lebensmittelkonzernen fehlt das Problembewusstsein. Das ist aber die Voraussetzung für eine dringend notwendige Debatte.

 

Frage: Die Landwirtschaft trägt im Vergleich zum Heizen oder Autofahren wenig zu den Treibhausgasen bei. Übertreiben Sie da nicht?

 

Bode: Die Bundesregierung selbst hat angegeben, dass 13 Prozent der Klimagase von der Landwirtschaft stammen, nicht sechs Prozent, wie Frau Aigner jetzt weismachen will. Das ist fast genauso viel wie der gesamte Straßenverkehr in Deutschland. Mehr als 70 Prozent dieser Emissionen entfallen auf die Tierhaltung, vor allem auf die Rindfleisch- und Milchproduktion.

 

Frage: Was schlagen Sie vor?

 

Bode: Wir müssen zum Beispiel den Fleischkonsum senken. Kaum ein Verbraucher weiß, dass die Klimabilanz von einem Kilo Rindfleisch etwa der einer 110 Kilometer weiten Autofahrt entsprechen kann. Wir verbrauchen zu viel Milch, Käse und Rindfleisch. Mit Appellen ist es nicht getan. Um eine Verteuerung von Fleisch kommen wir nicht herum.

 

Frage: Ist es sozial gerecht, wenn sich nur noch gut Verdienende Fleisch leisten können?

 

Bode: Gegenfrage: Gibt es ein Menschenrecht auf Steak? Es ist ja nicht so, dass niemand mehr Käse, Butter oder Fleisch essen soll. Doch wir essen wahnsinnig viel davon und werfen zudem noch ein Drittel der Produktion weg. Man wird auch intensiv über einen sozialen Ausgleich nachdenken müssen, wenn Fleisch teurer wird. Es gibt bereits heute einen Anteil an Menschen in Deutschland, die sich aus finanziellen Gründen nicht gesund ernähren können. Denken Sie beispielsweise an die Kinder von Hartz-IV-Empfängern. Es wird noch nicht genügend darüber diskutiert, welche sozialen Folgen die Klimapolitik hat, nicht nur beim Essen.

 

Frage: Viele Verbraucher fühlen sich beim Einkauf durch Mogelpackungen oder irreführenden Angaben getäuscht. Sind die Leute nicht einfach nur zu faul, auf der Packung nachzulesen?

 

Bode: So argumentiert die Lebensmittelindustrie. Doch mündige Entscheidungen kann man erst treffen, wenn man verlässliche Informationen erhält. Wir erwarten, dass der Verbraucher im Supermarkt in wenigen Augenblicken erkennen kann, was er kauft, und dass er sich sicher sein kann, dass die Industrie ihn nicht über den Tisch zieht. Ich stoße selbst an meine Grenzen, wenn ich die Kennzeichnungen verstehen will. Wir haben zwei große Probleme mit der Nahrungsmittelindustrie: Es findet eine legale Täuschung der Verbraucher statt und es gibt Sicherheits- und Gesundheitsprobleme. Das Schutzinteresse, zum Beispiel von Kindern und Jugendlichen, wird nicht berücksichtigt. Denen werden Frühstückflocken als Fitnessprodukt verkauft, deren Zuckeranteil bei fast 50 Prozent liegt. Das ist Körperverletzung durch Irreführung.

 

Frage: Sie fordern die farbliche Kennzeichnung der wichtigsten Inhaltstoffe wie Fett, Salz oder Zucker. Hat die so genannte Ampel noch eine Chance?

 

Bode: Ja, es bestehen noch Chancen. Die europäische Politik muss über die künftige Nährwertkennzeichnung erst noch entscheiden. Das Europäische Parlament wird im Frühjahr abstimmen – auch über Anträge zur Einführung der Ampelkennzeichnung.

 

Frage: Gibt es in Deutschland genügend Befürworter?

 

Bode: Die Koalition will die Ampel nicht. Ministerin Aigner hat sich zum Büttel der Industrie machen lassen. Die Unternehmen haben Angst vor Umsatzeinbußen, wenn klar wird, dass viele Produkte überzuckert oder übersalzen sind. Was die Verbraucherministerin macht, ist eine reine Auftragsarbeit der Industrie. Dabei stehen die medizinischen Fachleute hinter dem Vorschlag, die Ärzte, Krankenkassen und auch die Eltern. Das Ergebnis ist noch offen. Schon allein, weil die Gesundheitskosten gesenkt werden müssen, bleibt die Ampel ein Thema. Am Ende wird sie kommen.

 

Frage: Skandalisiert und übertreibt Foodwatch nicht kräftig, weil sonst das Spendenaufkommen zurückgeht, von dem Sie abhängig sind?

 

Bode: Die Situation in der Lebensmittelindustrie ist ein permanenter Skandal. Zwar können einzelne Skandale kurzfristig die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Wir befassen uns aber vor allem mit den permanenten Missständen wie der Täuschung oder Gesundheitsgefahren. Unsere Mitgliederwerbung ist entsprechend langfristig angelegt. Es hängt viel mehr vom Internetauftritt oder unseren Newslettern ab ab als von kurzfristiger Medienaufmerksamkeit, ob wir neue Förderer gewinnen. Inzwischen sind es 16.000.

 

Frage: Sie wollen sich europaweit ausdehnen. Welche Strategie verfolgt Foodwatch?

 

Bode: Wir wollen politische Entscheidungen beeinflussen, in dem wir Probleme in die Öffentlichkeit bringen. Da wir keine einheitliche europäische Öffentlichkeit haben, müssen wir dies in einzelnen Ländern tun. Die Leute sind sauer und wollen nicht mehr betrogen werden. Es ist unsere Hauptaufgabe zu zeigen, dass die Verbraucher angeschwindelt werden. So entsteht der Zorn, der zu politischen Veränderungen führt.

 

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