Es gibt kein Zurück in die gute alte Zeit

Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft (Teil 6): Zukunftsforscher sagen einen anhaltenden Wandel voraus

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Von Wolfgang Mulke

04. Jan. 2010 –

Am Frankfurter Flughafen treffen sich im Jahr 2020 zufällig einige beruflich ungewöhnliche Menschen. Felicitas lebt davon, andere im Lebensunternehmertum zu beraten, Oskar gibt mit 77 Jahren Tipps zum Immobilienkauf und zur Altersvorsorge. Die 25-jährige Lynn handelt mit Ethno-Waren und bummelt um die Welt und die 49-jährige Sally baut professionell menschliche Netzwerke auf und sucht neue Geschäftsideen. So könnte die Arbeitswelt bald aussehen, glaubten drei Dutzend Zukunftsforscher, die im Jahr 2000 einen fiktiven Ausblick wagten.

 

Mittlerweile blicken die Experten schon auf das Jahr 2030. An den großen Trends hat sich nicht viel geändert. Der Wandel hält weiter an. “Es wird niemals mehr, wie es war“, stellt der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Hans-Jörg Bullinger, fest. Zusammen mit anderen Fachleuten hat der Wissenschaftler im vergangenen Jahr für das Bundeskanzleramt einen Blick auf das übernächste Jahrzehnt geworfen. Die Arbeitswelt wird sich danach noch einmal deutlich verändern. Die feste Stelle in einem Betrieb wird eher die Ausnahme denn die Regel sein. „Der Trend geht hin zu einer weit reichenden Flexibilisierung des Arbeitslebens“, sagt Bullinger. Die Rente mit 67 wird womöglich auch kein Normalfall sein. Denn Deutschland braucht jede Fachkraft, wenn die Wirtschaft stark bleiben soll. „Wir müssen das Rentenalter zügiger als bis jetzt heraufsetzen“, ahnt der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter.

 

Mit dieser Entwicklung geht ein großes Problem einher, die „Zweiteilung der Erwerbstätigen“, wie es das Basler Institut Prognos bezeichnet. Auf der einen Seite gibt es eine große Nachfrage nach guten und kreativen Leuten, die zum ständigen Lernen in der Lage sind. Auf der anderen Seite müssen sich die, die den Anforderungen nicht gerecht werden können, bescheiden. „Einige fahren nach oben, aber viele andere nach unten“, befürchtet Zukunftsforscher Horst Opaschowski.

 

Spätestens hier taucht die große Frage auf, ob diese Spaltung zu sozialer Ausgrenzung eines großen Teils der Bevölkerung führt. Für den Ulmer Professor Franz Josef Rademacher steht nicht nur Deutschland vor der Alternative, brasilianische Verhältnisse zu akzeptieren oder eine öko-soziale Marktwirtschaft aufzubauen. Den dauerhaften Wohlstand für alle auf heutigem Niveau hält kaum ein Experte für wahrscheinlich. Ein Ende des Sozialstaats ist aber auch nicht gewollt. „Das ist nicht in unserer Tradition, dies zuzulassen“, glaubt Andreas Steinle vom Zukunftsinstitut.

 

Die Forscher sagen vielmehr einen Wandel des Wohlstandsbegriffs und der gesellschaftlichen Werte voraus. An die Stelle der staatlichen Fürsorge rücken zunehmend private soziale Netzwerke. Das bedeutet anders herum auch, dass die Eigenverantwortung zunimmt, weil der Staat nicht mehr wie gewohnt den Rundumschutz seiner Bürger gewährleistet. Auch die Wirtschaft ist gefragt. Die Unternehmen müssen aus eigenem Interesse sozial verträgliche Arbeitsbedingungen für eine alternde Belegschaft und familienorientierte junge Fachleute schaffen und Werte wie Umweltschutz und Fairness pflegen.

 

Die Visionen der Zukunftsforscher klingen mitunter allzu optimistisch. Doch viele Entwicklungen sind bereits im Gange, gerade in der Arbeitswelt. Verändern werden sich auch viele Lebensformen, zum Beispiel das Wohnen. Abgelegene und wirtschaftliche schwache Gebiete verwaisen, Mittelstädte und prosperierende Ballungsgebiete wachsen kräftig. Besonders Ostdeutschland ist vom Aderlass betroffen. Ein Sozialminister der neuen Länder dachte im kleinen Kreis bereits einmal laut über Zwangsumzüge für die Zurückgebliebenen in größere Ortschaften nach, weil die Infrastruktur für aussterbende Gemeinden womöglich nicht mehr bezahlt werden kann. Auf viele Kommunen und die Leute, die dort bleiben wollen, kommen schwierige Zeiten zu.

 

Es muss nicht alles so schlecht kommen, wie die Pessimisten befürchten, und es wird nicht so reibungslos weitergehen, wie die Optimisten es gerne hätten. Doch vorbereiten sollte sich jeder auf die noch anstehenden Veränderungen. Das wusste schon der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer. „Keine Zukunft vermag gut zu machen“, sagte der Arzt einmal, „was du in der Gegenwart versäumst.“

 

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Kasten Zukunft:

 

Zukunftsforschung ist eine umstrittene Disziplin. Häufig liegen die Experten mit ihren Prognosen daneben. Als typisches Beispiel dafür gilt die Warnung des Club of Rome, der 1972 das Ende des Ölzeitalters im Jahr 2000 beschwor und Engpässen bei der Rohstoff- und Nahrungsmittelversorgung befürchtete. Die Prognose ist nicht eingetroffen. Wohl aber sind die Grenzen des Verbrauchs der natürlichen Ressourcen heute für jeden sichtbar. Ende 2008 lud Bundeskanzlerin Angela Merkel vier Zukunftsforschungsinstitute ins Kanzleramt ein. Ein halbes Jahr lang gingen die Fachleute der Frage nach, wie die Deutschen im Jahr 2030 leben werden und wo Handlungsbedarf besteht, um diese Zukunft zu gestalten.

 

 

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