Es ist genug für alle da

Steht die dritte Corona-Impfung hierzulande in Konkurrenz zur Versorgung der afrikanischen Bevölkerung? Möglicherweise nein.

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Von Hannes Koch

21. Aug. 2021 –

Weil die Infektionen wieder stark zunehmen, begann Israel am Freitag, allen Leuten über 40 Jahren die dritte Corona-Impfung zu verabreichen. Schon vorher hatte die US-Regierung die dritte Impfung für die gesamte Bevölkerung angekündigt. Und auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erwägt umfassende Drittimpfungen. Dagegen kritisiert die Weltgesundheitsorganisation die geplanten Auffrischungen, weil beispielsweise in Afrika kaum jemand bisher auch nur eine einzige Spritze erhalten hat.

Gibt es also eine Impfkonkurrenz – sollen hierzulande Bürgerinnen und Bürger auf eine weitere Spritze verzichten, damit die Dosen nach Afrika geschickt werden können? Auf den ersten Blick herrscht tatsächlich eine krasse Ungerechtigkeit – ein Ergebnis auch ethischen Versagens. Während in manchen Staaten des globalen Nordens mehr als die Hälfte der Menschen geimpft sind, liegt der Anteil in Afrika bei wenigen Prozent. Reiche Staaten schützen die Gesundheit ihrer Bevölkerungen besser als arme. Kein Wunder: Die Impfstofffabriken stehen vor allem in den Industrieländern, die auch über die finanziellen Mittel verfügen, um hohe Preise für Medikamente zu zahlen. Eine ähnlich schwer zu rechtfertigende Ungleichheit existiert auch innerhalb wohlhabender Länder. Arme Menschen mit niedrigen Einkommen leben hierzulande mitunter zehn Jahre kürzer als reiche.

Von dieser grundsätzlichen Betrachtung abgesehen, ist aber jede Bundesregierung rechtlich, politisch und praktisch gezwungen, zuerst die Interessen der deutschen Bevölkerung zu verfolgen. Es geht kein Weg daran vorbei, den Bürgerinnen und Bürgern den bestmöglichen Gesundheitsschutz anzubieten. Dazu gehört auch eine dritte Impfung – wenn sie denn wirklich für alle oder viele notwendig ist, was etwa Virologe Christian Drosten bestreitet. Handelte die Regierung anders, stiegen die Chancen, dass sie abgewählt würde.

Trotz der ungerechten Strukturen der Weltwirtschaft existiert zur Zeit aber möglicherweise gar keine Impfkonkurrenz. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums erhält Deutschland dieses Jahr insgesamt rund 300 Millionen Impfdosen. Wenn sich schätzungsweise 60 Millionen Einheimische doppelt impfen lassen – von den Übrigen lehnen viele die Impfung ab – braucht man 120 Millionen Dosen. Hinzu kämen maximal weitere 60 Millionen Spritzen für den dritten Stich – macht 180 Millionen. Übrig bliebe rechnerisch eine Größenordnung von mindestens 120 Millionen.

Diese kann Deutschland anderern Ländern anbieten. Der Widerspruch zwischen nationalem Egoismus und globaler Verantwortung, zwischen der hiesigen und der internationalen Gesundheitsversorgung ist damit jedenfalls nicht so groß, wie die Behauptung der Impfkonkurrenz nahelegt. Ähnliche Arrangements sind wohl auch anderen europäischen Staaten möglich. Und im kommenden Jahr dürfte sich die Lage weiter entspannen.

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