Es könnte aufwärts gehen
Afrika kommt - Mosambik-Reportage
28. Sep. 2012 –
James Cameron, der Regisseur des Films Avatar, stand einst vor diesem Baum. Er war beeindruckt: 20 Meter hoch, mächtiger Stamm, ein Geflecht aus Lianen, Ästen und großen, dicken Blättern. Der alte Feigenbaum, meint Ivan Laranjeira, war sicher das Vorbild für die Baumwelt der blauhäutigen Bewohner des Planeten Pandora in Camerons Erfolgsfilm.
Kleiner Witz. Stadtteilaktivist Laranjeira (28) hat die Besucher aufs Kreuz gelegt und lacht sich schlapp. Cameron war niemals hier in Mafalala. Vielleicht 20.000 Menschen leben in dem Bezirk der mosambikanischen Hauptstadt Maputo, der noch immer vornehmlich aus einstöckigen Häusern mit Holz- und Wellblechwänden besteht. Die portugiesische Kolonialmacht hatte den Schwarzen einst verboten, feste Häuser aus Stein zu bauen.
Die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung von Mafalala verdient fast kein Geld. Die Grundschule Nummer 23 hat für 1.500 Schüler sechs Klassenräume. Deswegen wird in drei Schichten unterrichtet, morgens, mittags und nachmittags. Die 80 Kinder pro Klasse sitzen auf Tüchern auf dem Boden, weil es keine Tische oder Stühle gibt. Nicht nur James Cameron, auch die Regierung scheint den Stadtteil vergessen zu haben.
Trotzdem bewegt sich etwas. Laranjeira hat ein Business gegründet. Der Stadtteilverein, dessen „Präsident“ er ist, führt Touristengruppen durch das Gewirr der manchmal kaum meterbreiten Gassen, verdient damit Geld und investiert einiges in die Schule. Laranjeira, der trotz aller Widrigkeiten ein grünes Jackett trägt, ist ein pfiffiger Typ und spricht gutes Englisch.
Mafalala bezeichnet er als „Hauptstadt“ der Hauptstadt Maputo und damit auch gleich ganz Mosambiks. Warum? In diesem Blechhütten-Bezirk lebten unter anderem die beiden ersten Präsidenten des 1975 unabhängig gewordenen Landes, als sie noch die portugiesische Kolonialmacht bekämpften. Außerdem, was vielleicht noch wichtiger ist, kickte auf dem sandigen Bolzplatz früher Eusebio, der bei der Fußballweltmeisterschaft 1966 in Wimbledon mit Portugal den dritten Platz eroberte.
Mosambik ist eines der ärmsten Länder der Erde. Im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen steht es auf Platz 184 von 187 erfassten Staaten. Aber seine Wirtschaft wächst seit Jahren stark – in chinesischen Schritten von mitunter acht Prozent pro Jahr.
Profitiert Mafalala davon? Zuerst sagt Laranjeira: „Nein, das Leben hier wird nicht besser, die Leute haben nicht mehr Geld.“ Dann korrigiert er sich und meint, dass es auch Fortschritt gebe - bei der Infrastruktur. Die Stadtverwaltung habe in den vergangenen Jahren Strom und Wasserleitungen in den Stadtteil legen lassen. Allerdings nur bis zu zentralen Verteilerstellen. Die letzten Meter müssten die Leute selbst bezahlen, was viele sich nicht leisten könnten.
Das Geld für solche Vorhaben stammt nicht nur aus der Entwicklungshilfe des Auslandes, sondern auch aus steigenden mosambikanischen Einnahmen. 2008 stammte über die Hälfte des Staatshaushaltes aus dem Ausland, gegenwärtig ist es noch etwa ein Drittel. Das Land erhält allmählich mehr Mittel aus dem Verkauf einheimischer Rohstoffe. Die Aluminiumschmelze Mosal verarbeitet das gegenwärtige Hauptexportprodukt. Bergbaukonzerne wie Rio Tinto (GB/Australien), Vale (Brasilien) und Anadarko (USA) erforschen Kohle- und Erdgasvorkommen. Sie rechnen mit steigenden Weltmarktpreisen und hohen Gewinnen – China und Indien warten schon auf die Lieferung.
Mit seinem Rohstoffboom steht Mosambik stellvertretend für viele Staaten Afrikas. Geld fließt, es kann aufwärts gehen. Die begehrten Ressourcen sind ein Schatz, den auch Mosambik nutzen könnte, um das Leben seiner Einwohner zu verbessern.
„Bisher kommt aber kaum etwas bei der Mehrheit der Bevölkerung an“, sagt Rogerio Ossemane vom sozialökonomischen Forschungsinstitut IESE in Maputo. Über die Hälfte der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze, die die Regierung bei einem halben Dollar pro Kopf und Tag gezogen hat. Dieser Anteil habe sich in den vergangenen Jahren nicht verändert. Wegen des Bevölkerungswachstums sei die absolute Zahl der Armen sogar um 1,8 Millionen Menschen gestiegen, erklärt der Wissenschaftler.
Daran etwas zu ändern, trauen viele Beobachter nicht der Regierungspartei Frelimo zu, die seit 37 Jahren den Präsidenten stellt. Eher dem 47jährigen Daviz Simango, dessen vergilbte Plakate aus dem letzten landesweiten Wahlkampf auch an den Häuserwänden in Mafalala kleben. Simangos Stärke ist der direkte Kontakt zu den Leuten. „Wir müssen die Einwohner fragen, was die Politik für sie tun soll.“
Gerade besucht er ein armes Viertel der Stadt Beira, zwei Flugstunden nördlich von Maputo, in der er Bürgermeister ist. In dem Gewirr der einstöckigen Hütten will Simango nachsehen, wie die Bewohner die Entwässerungskanäle sauber halten und sich gegen das Hochwasser des nahen Indischen Ozeans schützen. Der Mann mit dem dunklen, mürrischen Gesicht kommt ohne Leibwächter. Wie alle anderen tappst er über die staubigen Wege zum brackigen Kanal. Hier und da bleibt er bei einer Gemüseverkäuferin stehen und spricht mit ihr – offenbar nicht von oben herab.
Simango gehört der kleinen Oppositionspartei MDM an, die bei den vergangenen Wahlen überraschend viele Stimmen erhielt. Er kann auch Staatsmann und pathethische Rede. „Wird Beira im Meer versinken? Nein, unsere Stadt wird nicht untergehen.“ Dann gibt er dem Arbeiter das Zeichen, den Kran in Gang zu setzen und das unlängst fertiggestellte Wehr hochzuziehen. Das schwere Fluttor taucht zentimeterweise aus der Tiefe des Grabens auf. „Das ist das Herz von Beira“, rühmt Simango die Technik und sich selbst. Nun, bei Ebbe, strömt die träge Brühe aus den Armenvierteln in den Ozean, bei Flut schützt das Bauwerk die Holz- und Blechhütten der Bewohner.
Aber steht Simango immer auf der Seite der einfachen Leute, wie er suggeriert? Mit ziemlich viel Geld und Massen von Beton hat seine Stadtverwaltung auch eine Reihe nobler Häuser reicher Leute geschützt, die auf einer hohen Düne thronen, mit bestem Seeblick. Ein sinnloses Unterfangen, meinen Wasserbauingenieure. Dieser Küstenabschnitt sei nicht zu halten – irgendwann komme eine Sturmflut, die die Häuser sowieso wegreisse.
Macht nichts – Simango ist der neue Mann des Volkes. Er kritisiert, dass Staatspräsident Armando Guebuza lieber mit chinesischen Krediten eine Brücke über die Hafenbucht von Maputo errichten wolle, als die Schulen mit Tischen und Stühlen auszurüsten. Er bemängelt, dass die herrschende Frelimo-Elite dicke Autos kaufe, statt Straßen auf dem Land zu bauen, damit die Bauern ihre Tomaten zum Markt fahren können. Und Simango beklagt die Korruption: „Die großen Konzerne bezahlen heute fast keine Steuern.“ Der Verdacht: Funktionäre beschenken Unternehmen. Diese wiederum zeigen sich bei den Politikern erkenntlich. Wer geht leer aus? Die Mehrheit der Bevölkerung.
Entspricht diese Anklage des Oppositionspolitikers der Realität? Carlos Mauricio Cabral Figueiredo bemüht sich, das aus seiner Sicht schiefe Bild geradezurücken. „Das Tribunal in Maputo ist heute einer der besten Rechnungshöfe Afrikas“, sagt der Abgesandte der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), der den mosambikanischen Kollegen helfen soll, gute Regierungsführung auf internationalem Standard durchzusetzen.
Das Tribunal Administrativo, das alle staatlichen Verträge mit Privatunternehmen kontrolliert, residiert in einer wunderbaren portugiesischen Villa im Kolonialstil – blaue Fayenzen an den Wänden, Stuck, ein luftiger Garten mit kleinem Teich. Im Jahr 2000 gab es den Rechnungshof quasi nicht, 2003 führte er sechs Prüfungen durch, 2010 waren es 600. Und mittlerweile werden auch Strafen verhängt, berichtet Figueiredo. So wie in dem Fall, als ein Bauunternehmer im Norden Geld für 50 Sozialwohnungsbauten erhielt, aber nur zwei hinstellte.
Letztlich allerdings, das räumen die Mitarbeiter des Rechnungshofes ein, hat die Frelimo-Regierung das Heft in der Hand. Wie auch in anderen Ländern üblich, veröffentlicht sie die Verträge mit Rio Tinto, Vale und anderen transnationalen Unternehmen nicht oder nur teilweise. Die Öffentlichkeit fragt sich mitunter zurecht, welcher Anteil des natürlichen Reichtums für die Entwicklung des Landes zur Verfügung steht und welchen Anteil Funktionäre und Konzerne illegal privatisieren.
Aber was darf man von einem Land wie Mosambik billigerweise erwarten? Zehn Jahre Unabhängigkeitskrieg gegen Portugal, danach 15 Jahre Bürgerkrieg. An dessen Ende 1992 gab es den Staat kaum noch. Die Leute vom Rechnungshof zeigen auf Fotos, wie früher ihre Arbeitsbedingungen aussahen. Da sieht man sie sitzen mit Kerze, Taschenlampe und Taschenrechner. Gemessen daran ist das Land in den vergangenen Jahren schon ziemlich weit vorangekommen.
Mosambik
Vor 20 Jahren, am 4. Oktober 1992, schlossen die mosambikanischen Bürgerkriegsparteien Frelimo und Renamo Frieden. Auch wegen des 15jährigen Bürgerkrieges gehört das Land an der Südost-Küste Afrikas noch heute zu den ärmsten der Erde. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 50 Jahre. Vier Fünftel der Menschen sind nicht ans Stromnetz angeschlossen. Viele Menschen auf dem Land betreiben Subsistenzwirtschaft. Aber die Voraussetzungen für Fortschritte sind gut. Mittlerweile besuchen fast alle Kinder die Grundschule. Die Böden sind fruchtbar, Verwaltung und Politik sind relativ stabil, eine Basisinfrastruktur mit Straßen und Schienen ist vorhanden. In den vergangenen Jahren wurden einige große Industrieprojekte angesiedelt oder begonnen.
Deutsche Hilfe
Für den Zeitraum 2009 bis 2011 hatte das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) Mosambik 155 Millionen Euro zugesagt, 38 Millionen davon als Budgethilfe für den Staatshaushalt. 2012 stehen rund 50 Millionen aus Deutschland zur Verfügung. Drei Bereiche unterstützen BMZ, Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die KfW-Bankengruppe besonders: Grundschulen und Berufsschulen, dezentrale Entwicklung (beispielsweise Hochwasserschutz in den Regionen) und nachhaltige Wirtschaft (beispielsweise Mikrokredite und erneuerbare Energien).