Essen ohne Arbeit?
Über das bedingungslose Grundeinkommen
03. Jan. 2017 –
Die Vorstellung eines von einer Arbeitsleistung unabhängigen Grundeinkommens widerspricht in jeder Hinsicht dem traditionellen Denken. Wer nicht arbeitet, wird im Sozialstaat zwar alimentiert, zum Beispiel über Hartz IV. Doch von der Gesellschaft erbrachte Leistungen für jene, die keine Arbeit finden oder nicht arbeiten können, sind an harte Bedingungen geknüpft. So bleibt im Kern die archaische Formel, wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, eine abgemilderte Grundlage des Gesellschaftsbildes.
Trotzdem findet die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens auch bei Arbeitgebern immer häufiger Resonanz. Denn die vielen globalen Veränderungen dieser Epoche verlangen bisher nicht denkbare Wege, den sozialen Frieden und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu erhalten. Die Digitalisierung und die damit verbundene Rationalisierung der industriellen Produktion wird Millionen Arbeitsplätze überflüssig machen. Ob zugleich wie nach früheren technologischen Revolutionen anderswo eine ausreichende Zahl neuer Beschäftigungsmöglichkeiten entsteht, ist völlig offen. Zugleich wächst die Bevölkerung und damit das Arbeitskräftepotenzial weltweit weiter an. Die Wirtschaft benötigt womöglich bald viel weniger Menschen, um noch mehr herzustellen. Ein Aufstand der Chancenlosen ist dann nur eine Frage der Zeit.
Eine Existenzsicherung gibt es in Deutschland mit Hartz IV und der Grundsicherung bereits. Es ist sogar vergleichsweise üppig. Eine Familie mit zwei Kindern kommt auf rund 1.600 Euro im Monat.
Doch ist diese Sozialleistung zugleich ein gesellschaftliches Stigma und wird von einem hohen Druck flankiert, jede erdenkliche Tätigkeit anzunehmen. Das lässt sich rechtfertigen, so lange es für alle auch eine Chance gibt, sich von der eigenen Arbeit zu ernähren, in dem man sich fit macht für die Anforderungen des Arbeitsmarktes. Wenn es diese Option nicht mehr gibt, verliert die herkömmliche Alimentation ihre Legitimation. Die staatlichen Leistungen ohne Bedingungen zu gewähren, könnte theoretisch eine Antwort auf diese Entwicklung sein.
In der Praxis bleibt die Idee jedoch noch lange eine Utopie, zumindest in der Reinform. Diese sieht ja vor, dass das bedingungslose Grundeinkommen zum Leben ausreicht. Das ist unbezahlbar und den aktiv Beschäftigten auch nicht vermittelbar. Selbst das in Finnland laufende Experiment begrenzt die Zahlungen an die Versuchsgruppe auf 560 Euro. Da bleibt der Druck, nur durch Arbeit ein ausreichendes Einkommen erzielen zu können, erhalten. Man darf gespannt sein, welche Erfahrungen die Finnen in den kommenden zwei Jahren sammeln.
Die Risiken einer generellen Einführung des Grundeinkommens sind vielfältig und vermutlich gar nicht recht abschätzbar. Die Kosten sind ein Aspekt. Arbeitnehmer und Unternehmen müssten viele Milliarden Euro dafür bereitstellen. Die Befürworter errechnen andererseits zwar auch Einsparungen, weil zum Beispiel große Teile der Sozialverwaltung abgebaut werden könnten. Doch an ein Nullsummenspiel glauben nicht einmal die größten Optimisten. Gar nicht zu beziffern wären zu erwartende Mitnahmeeffekte durch Menschen, die nur aufgrund dessen nach Deutschland kämen. Als nationale Sozialleistung ist das bedingungslose Grundeinkommen daher nicht vorstellbar.
Unwägbar sind auch die Folgen für den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft insgesamt. Realistisch betrachtet würde sich für unattraktive, ungesunde schwere oder schlecht bezahlte Tätigkeiten kaum noch ein Bewerber finden. Trotzdem müssen diese Arbeiten erledigt werden. Denn auch zukünftig werden Roboter nicht alles übernehmen können. Eine positive Seite hat es auch. Das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Arbeitnehmern ändert sich vermutlich, wenn der Beschäftigte weiß, dass er nicht allzu tief fallen kann, wenn man sich trennt. Riskant ist ein Grundeinkommen auch in Hinblick auf die junge Generation. Denn der materielle Anreiz zu einer guten Ausbildung verliert an Gewicht, wenn sich die schönste Zeit des Lebens auch ohne mühevolles Lernen verbringen lässt. Alles in allem überwiegt die Gefahr, dass die Wirtschaft an Leistungsfähigkeit verliert. Dann fehlt wiederum die finanzielle Kraft zur Finanzierung eines akzeptabel hohen Grundeinkommens.
Dennoch ist eine Debatte über die soziale Gestaltung einer Gesellschaft, deren Wirtschaft zwar großen Wohlstand erzeugt, die aber nicht mehr allen Arbeit und Perspektive bieten kann, angezeigt. Mit den herkömmlichen Denkmustern ist dieses Problem nicht lösbar. Es braucht neue Wege, selbst wenn sie erst einmal unrealistisch erscheinen.