• Lars P. Feld |Foto: Walter Eucken Institut
    Lars P. Feld |Foto: Walter Eucken Institut

„Europa kommt zurück“

„Die Krise ist auf dem Rückzug, wenngleich noch nicht bewältigt“, sagt der Freiburger Ökonom Lars P. Feld anlässlich des Weltwirtschaftsforums 2014

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Von Hannes Koch

21. Jan. 2014 –

Hannes Koch: Die Mittelschicht in Staaten wie Deutschland schrumpft, in Schwellenländern wie China oder Brasilien wächst sie – ein Gegensatz, der demnächst beim Weltwirtschaftsforum von Davos zur Debatte steht. Machen Sie sich als sozialpolitisch interessierter Ökonom darüber Sorgen?

 

Lars Feld: Nein. Wir haben uns im Sachverständigenrat für Wirtschaft genau angeschaut, wie sich die Einkommensverteilung in Deutschland entwickelt. Seit Beginn der 1990er Jahre ist der Anteil der mittleren Einkommensgruppen am Gesamteinkommen um vier Prozent zurückgegangen. Zwei Prozentpunkte gewannen ärmere Schichten, weitere zwei Prozent bekamen reichere Gruppen hinzu. Darin kann ich keine Dramatik erkennen. Denn wir haben es mit einem langen Zeitraum zu tun, in dem sich die weltwirtschaftlichen Gewichte massiv verschoben. Im Übrigen nimmt die Ungleichheit der Einkommen in den vergangenen Jahren wieder etwas ab.

 

Koch: Das wirtschaftspolitische Konzept des Ordoliberalismus, das das Walter Eucken Institut seit 60 Jahren vertritt, weist der Politik die Aufgabe zu, Spielregeln für offene Märkte festzulegen, die sich an den gemeinsamen Interessen der Bürger ausrichten. Nun halten viele Menschen in Europa ihre Gesellschaften für zunehmend ungerecht. Muss die Politik darauf nicht reagieren?

 

Feld: Wenn die Bürger so etwas wünschen, sollte die Politik sich des Problems annehmen. Die Frage aber ist, was die Bürger wirklich wollen. In der Schweiz weiß man es oftmals – dort gibt es Volksabstimmungen. Die sogenannte Abzocker-Initiative bekam eine Mehrheit: Künftig müssen die Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften öffentlich über die Gehälter der Vorstände entscheiden. Abgelehnt wurde dagegen die Initiative, derzufolge das höchste Gehalt in Unternehmen nur noch das Zwölffache des niedrigsten betragen sollte. Was als gerecht zu betrachten ist, beurteilen moderne Bürger also sehr differenziert. In Deutschland jedoch fehlt uns ein Indikator wie die Schweizer Volksinitiative. Deshalb würde ich sehr vorsichtig sein, wenn die Politik hierzulande versucht, das Gerechtigkeitsempfinden zu interpretieren.

 

Koch: Die französische Linksregierung glaubt, die Wünsche ihrer Bürger umzusetzen, indem sie Einkommen ab einer Million Euro pro Jahr mit 75 Prozent besteuert. Können solche Reichensteuern die Polarisierung der Einkommen ausgleichen?

 

Feld: Derart hohe Steuersätze behindern das Wirtschaftswachstum. Sie tragen dazu bei, dass gut verdienende Bürger ihre Einkommen und Vermögen ins Ausland transferieren. Dieses Kapital steht im Inland dann nicht zur Verfügung. Deshalb schaden zu hohe Steuersätze mittelbar allen Bevölkerungsgruppen und widersprechen dem Ziel, Verteilungsgerechtigkeit herzustellen.

 

Koch: Ähnliche Steuersätze erhoben die USA bis in die 1970er Jahre – und hatten hohes Wirtschaftswachstum und weniger soziale Spaltung als heute.

 

Feld: Die nominalen Sätze mögen dort damals beträchtlich gewesen sein, doch wegen vieler Schlupflöcher zahlten die Unternehmen und Bürger unter dem Strich weniger Steuern. Außerdem ist die Welt heute eine andere. Kapital hat auf den offenen globalen Märkten mehr Bewegungsmöglichkeiten. Dem muss die nationale Steuerpolitik Rechnung tragen.

 

Koch: Was kann die Politik überhaupt noch regeln? Sie kritisieren auch den Mindestlohn, den die Bundesregierung nun anstrebt – eigentlich ein klassisches Beispiel, wie sich politische Rahmensetzung und Marktwirtschaft verbinden lassen.

 

Feld: Keineswegs. Der Mindestlohn hat nichts mit guter Ordnungspolitik zu tun. Er stellt keine Rahmensetzung dar, sondern einen Eingriff in die Preisbildung, die dem Markt vorbehalten sein sollte. Die Folge: Beschäftigte, die die 8,50 Euro nicht erwirtschaften, werden entlassen oder auf den ungeregelten Arbeitsmarkt abgedrängt. Der Mindestlohn fördert die Schwarzarbeit.

 

Koch: Eine Kernaussage des Ordoliberalismus besteht darin, dass der Markt nur funktioniert, wenn nicht einzelne Teilnehmer zu große Macht anhäufen. Nun nutzt etwa die Hälfte der Deutschen die Suchmaschine Google, etwa ein Drittel hat angeblich ein facebook-Konto. Sind diese Unternehmen bereits Monopole?

 

Feld: Wir haben es eher mit Oligopolen zu tun, kleinen Gruppen sehr einflussreicher Firmen.

 

Koch: Demnach gibt es keinen Anlass, das Kartellamt zu rufen?

 

Feld: Nein, wer Google oder facebook nutzt, kann ja grundsätzlich zu anderen Anbietern wechseln. Diese Alternativen sind vorhanden, wenn sie auch viele Menschen nicht nutzen.

 

Koch: Was ist mit der Gefahr, dass die Datensammlung in den Speichern der großen Internetfirmen die persönliche Freiheit der Individuen und ihre Privatsphäre bedroht?

 

Feld: Das sind Fragen des Datenschutzes. Sie betreffen kaum die wirtschaftliche Ordnung. Gleichwohl sorgen mich die Freiheitsbeschränkungen, die im Zuge der Terrorismusbekämpfung vorgenommen werden.

 

Koch: Das Walter Eucken Institut, das Sie leiten, entstand in Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, aber auch in Abgrenzung zum Marxismus und den Theorien John Maynard Keynes´. Ordoliberale trugen dazu bei, die Grundlagen einer Marktwirtschaft mit sozialer Verantwortung zu entwickeln. Dass dieses Konzept grundsätzlich richtig ist, bestreiten heute zumindest in Europa nur wenige. Warum braucht man den Ordoliberalismus noch?

 

Feld: Es mag sein, dass sich fast alle zu irgendeiner Form sozialer Marktwirtschaft bekennen, selbst die Linke. Aber die Welt dreht sich weiter, das Konzept muss angepasst werden. Ein Beispiel: Die angelsächsisch dominierte Politik seit den 1980er Jahren hat der Finanzkrise Vorschub geleistet. Es reicht nicht zu fragen: Was ist gut für den Kapitalmarkt und die Börsenkurse? Heute wissen wir, dass wir den Banken und Finanzmarktakteuren zu viele Freiheiten gelassen haben.

 

Koch: In Davos wird die Frage gestellt „Kommt Europa jetzt zurück?“. Wie lautet Ihre Antwort?

 

Feld: Ja, Europa kommt zurück. Ein entscheidender Schritt notwendiger Regulierung ist die Bankenunion. Dass sie fehlte, bildete bisher eine offene Flanke des Lissabon-Vertrages. Systemrelevante, grenzüberschreitend tätige Finanzinstitute brauchen eine einheitliche Kontrolle. Man muss sie abwickeln können. Sie müssen ihre Schulden im Ernstfall selbst zahlen – nicht die Steuerzahler. Diese Maßnahmen leiten die Regierungen jetzt ein. Die Krise ist auf dem Rückzug, wenngleich noch nicht bewältigt.

 

Koch: Viele sagen: Die Nationalstaaten müssen mehr Kompetenzen an eine gemeinsame europäische Regierung abgeben. Stimmen Sie dieser Forderung zu?

 

Feld: Im Sachverständigenrat halten wir föderale Systeme für besser als zentralstaatliche. Deswegen sind wir überwiegend skeptisch gegenüber einer gemeinsamen europäischen Finanzpolitik. Gleiches gilt für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die Logik Europas ist die eines Verbundes eigenständiger Nationalstaaten. Was die selbst regeln wollen und können, muss nicht eine Zentralregierung an sich ziehen. Wir brauchen keine neuen europäischen Institutionen, auch nicht mehr Verträge á la Kanzlerin Merkel, in denen sich die EU-Mitglieder zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit verpflichten.

 

Koch: Sollte es mehr Demokratie auf europäischer Ebene geben?

 

Feld: Ja, aber was bedeutet das? Mehr Macht, mehr Kompetenzen für das Europaparlament, das ist zu kurz gesprungen. Denn bei der Anzahl der Abgeordneten und damit dem Einfluss sind die bevölkerungsreichen Staaten gegenüber den kleinen Ländern deutlich benachteiligt. Gäbe man den großen Länder mehr Gewicht, hätten umgekehrt die kleinen kaum noch etwas mitzureden. Gegen die Stärkung der gemeinsamen Legislative spricht auch, dass eine europäische Öffentlichkeit erst entsteht. Zwar haben wir uns früher nie so viele Gedanken über die Situation in anderen EU-Ländern gemacht, wie seit Ausbruch der Finanzkrise. Aber die grenzüberschreitende Debatte, die ein stärkeres Parlament zur Orientierung bräuchte, ist noch immer schwach.

 

Koch: Einige Ihrer Kollegen – etwa US-Ökonom James Galbraith oder Ferdinand Fichtner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung – machen sich für eine europäische Arbeitslosenversicherung stark. Eine gute Idee?

 

Feld: Nein, das sollten wir in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten belassen. Die wissen besser, wie der Arbeitsmarkt bei ihnen aussieht.

 

Koch: Würden Erwerbslose in Krisenländern gemeinsam angesparte Finanzmittel erhalten, könnte das einen Zusammenbruch der Wirtschaft, wie wir ihn in Griechenland oder Spanien erleben, mildern.

 

Feld: Die spanische oder griechische Arbeitslosenversicherung sind ihrer Rolle durchaus gerecht geworden. Ihre Leistungen an die Erwerbslosen haben die Krise abgefedert. Dass die Lage so dramatisch wurde, hatte viele andere Ursachen. Teilweise sind die Institutionen korrupt, oder das Steuersystem funktioniert schlecht. Diese grundlegenden Probleme muss man lösen, bevor man an die Europäisierung der sozialen Sicherung denken kann.

 

Bio-Kasten

Lars P. Feld (Jg. 1966), rötliche Haare, Ohrstecker, leitet das Walter Eucken Institut in Freiburg. Er lehrt und forscht als Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Uni Freiburg. Seit 2011 ist er Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Fünf Weise“), der die Bundesregierung berät.

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