Europas neue Mauer

Die Krise geht dem Ende entgegen

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Von Hannes Koch

26. Okt. 2012 –

Europa hat eine Mauer errichtet. Keine, die den alten Kontinent spaltet, sondern eine, die ihn wirtschaftlich und politisch schützt. Eine, die sich nicht gegen andere Staaten richtet, wohl aber Angriffe von Finanzinvestoren abwehren soll.


Die Bedeutung des neuen Schutzwalls ist kaum zu überschätzen. Mit seiner Konstruktion geht die Krise um den Euro ihrem Ende entgegen. Endlich, drei Jahre nach dem Ausbruch der Turbulenzen, kann man sagen: Das weltweit einmalige Experiment, bei dem 17 souveräne Staaten Wohlstand und soziale Sicherheit mit einer gemeinsamen Währung sichern, wird fortgesetzt. Kein Staat muss den Euroraum verlassen. Für andere Länder, etwa Großbritannien und die USA, bedeutet dies jedoch: Ihre Lage wird ungemütlicher, weil die hauseigenen Probleme wieder in den Vordergrund treten.


Zwei nahezu historische Entscheidungen wurden im September in Europa getroffen. Anfang des Monats entschied zunächst der Rat der Europäischen Zentralbank unter der Führung des Italieners Mario Draghi, dass die EZB künftig unbegrenzt Staatsanleihen kaufen kann, um verschuldete Regierungen von Euro-Staaten zu unterstützen. Mit dieser Intervention am Finanzmarkt will die europäische Notenbank die Zinsen für Staatsanleihen beispielsweise aus Spanien und Italien im vertretbaren Rahmen halten. Große Investoren haben dann kaum noch Möglichkeit, die Risikoaufschläge auf sieben oder acht Prozent in die Höhe zu treiben und die Staaten damit an den Rand der Zahlungsunfähigkeit zu bringen. Die EZB begibt sich erstmals in die Rolle, die etwa die US-Amerikanische Notenbank FED ganz selbstverständlich ausübt: Nicht nur für Banken, sondern auch für Staaten im Euroraum ist sie nun lender of last resort.


Zweitens machte das Bundesverfassungsgericht, Deutschlands oberste juristische Instanz, den Weg frei für die Gründung des European Stability Mechanism (ESM). Diese dem Internationalen Währungsfonds nachempfundene Institution wird fast eine Billion Dollar (700 Milliarden Euro) einsetzen können, um Regierungen von Euro-Staaten mit Krediten zu unterstützen.


Die Wirkung der beiden Entscheidungen zeigte sich schnell: Die Zinsen sanken. Die akute Krise scheint entschärft. So heftig, wie in den vergangenen drei Jahren, wird sie wohl auch nicht zurückkommen. Europa ist einheitlicher und belastbarer geworden. Das Wirtschaftsmagazin Economist verwendete den Begriff „game change“ und verglich den europäischen Plan mit der von US-Finanzminister Alexander Hamilton durchgesetzten Übernahme der Schulden der amerikanischen Gründerstaaten durch die Zentralregierung im Jahr 1789.


Europa hat nun Zeit gewonnen. Diese muss es aber auch nutzen. Wobei die gute Nachricht lautet: Augenblicklich sieht es danach aus, als wollten die europäischen Regierungen und Institutionen die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen.


Zu einem Fiskalpakt haben sie sich bereits durchgerungen. Seit einigen Monaten gibt es einen Plan, dem zufolge die Staatsverschuldung auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung sinken soll. Die Europäische Kommission in Brüssel wird das kontrollieren und bekommt mehr Möglichkeiten, es auch durchzusetzen. Gleichzeitig kürzen Griechenland, Portugal, Spanien und andere Länder ihre Arbeitskosten, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger zu werden. Drittens will man eine gemeinsame Bankenaufsicht bei der EZB etablieren, um Finanzblasen im Ansatz zu verhindern.


Das sind richtige Ansätze, die allerdings noch nicht ausreichen. Wenig passiert ist bislang auf zwei wichtigen Feldern. Ebensowenig wie den Amerikanern und Briten ist bislang den Regierungen des Euroraumes eingefallen, wie sie das „too-big-to-fail“-Problem bei den Banken lösen wollen. Noch immer bewegen manche Institute so große Summen, dass die Staaten sie im Notfall nicht pleitegehen lassen können, ohne die Stabilität der gesamten Ökonomie zu gefährden. Was würde helfen – eine Aufspaltung in das sichere Einlagengeschäft einerseits und das risikoreiche Investmentbanking andererseits, drastisch höhere Eigenkapitalanforderungen für die Institute? Die Fragen liegen auf dem Tisch, doch die Bankenlobby blockiert die Antworten.


Die zweite Herausforderung besteht in einer europäische Institutionenreform. Um krisenresistenter zu werden, braucht die europäische Zentralgewalt mehr Kompetenzen gegenüber den Nationalregierungen. Damit einher geht der Ruf nach besserer demokratischer Kontrolle auf gesamteuropäischer Ebene und einem Machtzuwachs des EU-Parlaments. Dem freilich steht etwa in Frankreich ein starker nationaler Beharrungswillen entgegen.


Trotzdem gibt der Anfang vom Ende der Eurokrise nun wieder den Blick darauf frei, das Europa in mancher Hinsicht wesentlich besser dasteht, als beispielsweise Großbritannien und die USA. So ist das Leistungsbilanzsaldo des Euroraumes positiv, während die USA und Großbritannien sich permanent verschulden müssen, um ihre Importe zu finanzieren. Ähnliches gilt für die Neuverschuldung der Regierungen: Während diese im Euroraum durchschnittlich bei drei Prozent der Haushalte liegt, müssen sich die britische und US-Regierung jeweils rund acht Prozent leihen.


Nach der US-Präsidentenwahl dürften diese Daten kaum besser werden. Die innenpolitische Blockade der USA macht es schwierig, die Wirtschafts- und Finanzprobleme zu lösen. Müssen wir deshalb damit rechnen, dass sich die europäische Krise auf die andere Seite des Atlantiks verlagert? „Nein“, sagt Peter Bofinger, ein Wirtschaftsberater der Bundesregierung. Mangels ausreichender Alternativen würden die Banken, Versicherungen und Fonds auch künftig US-Staatsanleihen kaufen.


Allerdings lassen die sinkenden Ratings für US-Staatspapiere ahnen, dass die Zinsen steigen, die die USA Investoren bald bieten müssen. Und die höheren Kosten der Staatsverschuldung verschärfen dann die aktuellen Finanzierungsprobleme. So steht unter dem Strich, dass die USA zunehmende ökonomische Schwierigkeiten bekommen werden, ihre politische und militärische Rolle als gloable Führungsmacht auszufüllen. Das Verebben der Eurokrise treibt damit den Prozess der globalen Gewichtsverlagerung voran. Nicht nur China wird davon profitieren. Auch Europa meldet sich als erstarkter Akteur in der multipolaren Weltordnung zurück.

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