Evolution statt Revolution

Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft (Teil 2): Unser Gesundheitssystem bleibt auch in Zukunft für alle bezahlbar

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Von Wolfgang Mulke

04. Jan. 2010 –

Zukunftsforscher sind sich in einem Punkt einig. „Gesundheit wird das Wichtigste im Leben“, glaubt Horst Opaschowski, Chef der Hamburger BAT Stiftung für Zukunftsfragen. Sein Kollege Andreas Steinle vom Kelkheimer Zukunftsinstitut spricht sogar von einem „Megatrend“. „Wir müssen gesünder alt werden, um lange arbeiten zu können“, gibt der Fachmann die Richtung vor. Leicht wird das nicht. Denn die Gesundheitsversorgung immer teurer und es gibt eine Zwei-Klassen-Medizin mit Privatpatienten an der Spitze und gesetzlich Versicherten mit einem abgespeckten Leistungskatalog.

 

Pessimisten wie die Fachleute vom Fritz-Beske-Institut in Kiel sehen ohne tief greifende Reformen schwarz. Dann werde der Beitragssatz je nach Ausmaß des medizinischen Fortschritts Mitte des Jahrhunderts zwischen 27 und 44 Prozent des Bruttolohnes liegen. Heute geben Arbeitnehmer und Arbeitgeber knapp 15 Prozent für die medizinische Versorgung aus. Damit die Krankenkassenbeiträge nicht so hoch steigen, halten die Kieler neben organisatorischen Einsparungen Einschnitte in den Leistungskatalog für notwendig. Die wichtigsten Behandlungen würden dann von den Kassen ganz bezahlt, für andere müssen die Patienten zuzahlen.

 

Deutschland ist eines der weltweit wenigen Länder, in denen alle Versicherten alle medizinisch notwendigen Leistungen erhalten. Die Optimisten glauben, dass sich daran auch nichts ändern muss. Dazu gehört zum Beispiel Rolf Rosenbrock vom Wissenschaftszentrum Berlin. Der Professor war auch Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung. „Die Krankenversorgung trägt zum sozialen Frieden bei und ist auf Dauer bezahlbar“, sagt der und verweist auf die vergangenen Jahrzehnte. Problematisch seien nicht die Ausgaben, sondern die Entwicklung der Einnahmen. Rosenbrock sieht in der Bürgerversicherung die Lösung der Finanzprobleme. Dann müssten alle, auch die Selbständigen, Kassenbeiträge bezahlen. Die Private Krankenversicherung würde abgeschafft. Wenn später doch Leistungen rationiert werden müssten, solle dies transparent geschehen und alle gleichermaßen betreffen.

 

Leistungskürzungen lehnen auch die Krankenkassen ab. „Es gibt nachweislich Wirtschaftlichkeitsreserven“, heißt es in einem Positionspapier ihres Spitzenverbands. Dazu gehören beispielsweise die bessere Koordination der Ärzte und Krankenhäuser, mehr Wettbewerb und Einsparungen ohne Qualitätsverlust bei den Arzneimitteln.

 

Der wichtigste Schritt klingt ganz einfach. „80 Prozent der Kosten sind verhaltensbedingt“, erläutert Zukunftsforscher Steinle. Deshalb kommt der Vorsorge künftig eine bedeutendere Rolle zu. Wie schon beim Rauchen wird der Staat wohl auch bei anderen ungesunden Verhaltensweisen steuernd eingreifen. Andere Länder sind da schon weiter. So erhalten die Eltern zu dicker Kinder in England zum Beispiel Mahnbriefe von den Behörden. Rosenbrock sieht vor allem im Ausbau der öffentlichen Leistungen für Kinder einen Weg, die Jüngsten schon früh an ein gesundheitsbewusstes Leben heranzuführen. Je weniger Krankheiten entstehen, desto sichere ist die finanzielle Lage des Systems. Da ist jeder einzelne gefragt. Es gibt also eine berechtigte Hoffnung, dass sich Deutschland auch weiterhin eines der weltweit besten Versorgungssysteme leisten kann. Evolution statt Revolution, lautet das Motto. Finanzierung und Leistungen werden ständig den Gegebenheiten angepasst, weil sich die Bedingungen laufend ändern, zum Beispiel durch neue Therapien oder die Alterung. Wenn Politiker eine Jahrhundertreform versprechen, ist daher Skepsis angezeigt.

 

Ein Grundsatzstreit könnte aber dazu führen, dass die Gesundheitspolitik in eine ganz andere Richtung marschiert. Die große Koalition will die Arbeitgeberbeiträge festschreiben. Alle künftigen Kostensteigerungen müssten die Arbeitnehmer dann alleine bezahlen. Auch bei den Leistungen ist offen, ob die Bürger bald einzelne Risiken privat absichern sollen. Der DGB hält den Vorschlag einer von den Beschäftigten zu zahlenden Pauschale für gefährlich. „Die Einführung einer Kopfpauschale würde zu einer Drei-Klassen-Medizin führen“, kritisiert DGB-Vorstand Annelie Buntenbach. Das wären die Privatversicherten, die Durchschnittsverdiener und ganz unten Geringverdiener und Rentner, die ihre Zusatzbeiträge nicht selbst aufbringen können. Der DGB will die Arbeitgeber nicht aus der Pflichtversicherung entlassen und höhere Steuerzuschüsse an die Krankenversicherung, weil so auch die Vermögenden mit zur Kasse gebeten werden. 2010 wird das Jahr der Weichenstellung.

 

 

 

Kasten:

 

Das Geschäft mit der Gesundheit ist ein riesiger Markt. 252 Milliarden Euro gaben die Deutschen 2007 für Ärzte, Krankenhäuser und Arzneien aus. Dazu geben die Bürger noch viele Milliarden privat für ihre körperliche und geistige Fitness aus. Mit rund 4,4 Millionen Beschäftigten ist der Wirtschaftszweig auch für den Arbeitsmarkt von wachsender Bedeutung. Fachleute gehen davon aus, das in der Branche innerhalb der nächsten zehn Jahre noch eine Million weiterer Stellen entstehen können.

 

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