EY soll für Wirecard-Pleite zahlen

Anlegerschützer nutzen Stiftung in Niederlanden

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Von Björn Hartmann

29. Mär. 2023 –

Mit dem Namen Wirecard verbindet sich eine der spektakulärsten Pleiten der Bundesrepublik. Viele Anleger verloren Geld. Aus der Insolvenzmasse des Zahlungsdienstleisters ist wenig zu holen, deshalb wollen Anleger sich an die Wirtschaftsprüfer von EY halten, die es womöglich mit ihrer Arbeit nicht so genau nahmen, wie es nötig gewesen wäre. Derzeit zeichnen sich zwei Möglichkeiten für Geschädigte ab. Auf jeden Fall müssen sie aktiv werden, damit möglich Ansprüche nicht verfallen.

Anleger können sich einer Musterklage nach deutschem Recht anschließen. Das Münchener Landgericht I hat gerade aus den zahlreichen Klagen, die es bereits gegen ehemalige Verantwortliche bei Wirecard und gegen EY Deutschland gibt, das zentrale Verfahren bestimmt (101 Kap 1/22). Einen anderen Weg will die Deutsche Schutzvereinigung für den Wertpapierbesitz (DSW) gehen, die Anleger vertritt: Sie setzt auf eine Stiftung in den Niederlanden, die einen Vergleich mit EY Deutschland und anderen internationalen Partnern im EY-Verbund schließen soll, der dann auch europaweit gilt. Die DSW verspricht sich eine deutlich schnellere und für die Anleger kostengünstigere Lösung als das Musterverfahren in Deutschland.

Wirecard galt als Vorzeige-Technologieunternehmen, eines, das mit den großen Technologiekonzernen der USA und Chinas mithalten könne. Zumindest war das der Eindruck, den Chef und Großaktionär Markus Braun vermittelte. Am 25. Juni 2020 musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. 1,9 Milliarden Euro in den Bilanzen erwiesen sich als nicht vorhanden, waren offenbar erfunden. Der Kurs brach ein, viele Anleger verloren Ersparnisse. Angeblich wurden mehr als 20 Milliarden Euro Vermögen vernichtet.

Im Zuge der Pleite bekam auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY Probleme. Sie hatte die Bilanzen von Wirecard geprüft und die Jahresabschlussberichte testiert. Die Wirecard-Bilanzen für 2017und 2018 erklärte ein Gericht für nichtig, weil sie gegen ordungsgemäße Buchführung verstoßen. Die staatliche deutsche Abschlussprüferaufsicht Apas wirft EY schwere Fehler und Versäumnisse vor, während sie die Bilanzen 2015 bis 2017 prüfte.

Inzwischen sind einige Klagen von Gläubigern und Aktionären anhängig. Die Anlegerschützer schätzen, dass sich viele Wirecard-Geschädigte bisher noch nicht darum gekümmert haben, zumindest einen Teil ihrer Verluste wiederzubekommen. Sie haben dazu bis zum 31. Dezember 2023 Zeit, dann verjähren die Ansprüche nach Angaben von DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. „Wer nicht aktiv wird, bekommt nichts, wenn es Geld aus dem Musterverfahren oder der Stiftung Geld geben sollte.“

Anleger können sich der Musterklage anschließen oder bei der Stiftung anmelden, für die Tüngler wirbt. Die DSW verspricht ein schnelles und kostengünstiges Ergebnis. Bereits jetzt seien 12.000 Wirecard-Anleger mit Schäden von rund 500 Millionen Euro dabei, sagt der DSW-Chef. Anwalt Klaus Nieding, der das Verfahren betreut, erwartet, dass sich mehr als 30.000 Privatanleger und auch einige hundert institutionelle Anleger – Banken, Versicherungen, Anlagefirmen – beteiligen und die Schadenssumme deutlich in die Milliarden Euro geht.

Die Stiftung soll dann mit EY einen Vergleich aushandeln, idealerweise binnen zwei Jahren. Erste Gespräche laufen nach Aussage von DSW-Chef Tüngler bereits. Die Kosten übernimmt der DSW zufolge ein großer US-Prozessfinanzierer mit Sitz in London, der für seine Arbeit im Erfolgsfall 25 Prozent der Vergleichssumme als Gebühr nimmt. Nach Angaben von Anwalt Nieding ist das eine im Vergleich mit anderen ähnlichen Verfahren niedrige Summe. Wer sich bei der Stiftung über die DSW registriert, muss auch eine Prozessvollmacht erteilen. Denn die Aktionärsschützer wollen im Auftrag der Anleger klagen, um die Verjährung der Ansprüche zu verhindern. Anmeldefrist ist Ende Mai.

Die Anlegerschützer legen die Stiftung auf, weil sie von den Musterverfahren nach deutschem Recht wenig überzeugt sind. So habe das Verfahren gegen die Telekom fast 20 Jahre gedauert, sagt Anwalt Nieding, der Vergleich am Ende sei auch schon zu Beginn möglich gewesen. Ein Musterverfahren im VW-Abgasskandal laufe auch bereits seit sieben Jahren, ohne wirklich voranzukommen. Zudem müssten Anleger einen Anwalt bezahlen, um auch zu klagen.

EY hält die Forderungen gegen sich für unbegründet. Dennoch könnte sich das Unternehmen auf einen Vergleich? Viele Firmen sehen EY doch in der Schuld, entziehen Aufträge oder schließen keine neuen. Die DSW glaubt, dass EY den Fall abschließen will, um zu überleben. Zudem bremst der Wirecard-Fall den geplanten Umbau: Beratung und Wirtschaftsprüfung sollen getrennt werden.

Gegen den ehemaligen Wirecard-Chef Braun, den einstigen Chefbuchhalter Stephan von E. und Oliver Bellenhaus, Wirecard-Statthalter in Dubai läuft gerade vor dem Landgericht München I ein Verfahren wegen Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Untreue und bandenmäßigem Betrug. Bellenhaus ist Kronzeuge, Braun und von E. weisen alle Schuld von sich. Das Verfahren läuft bis mindestens Ende 2023.

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