Fast acht Millionen Beschäftigte erhalten Niedriglöhne

Zahl der schlecht bezahlten Arbeitnehmer nimmt seit 1995 zu. CDU-MdB Weiß stellt Einigung auf bundesweiten Mindestlohn in Aussicht

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Von Hannes Koch

14. Mär. 2012 –

Die Mehrheit der deutschen Arbeitnehmer kann es sich nicht vorstellen, für fünf oder sechs Euro pro Stunde zu arbeiten. Doch fast jeder Vierte ist mittlerweile gezwungen oder bereit, genau dies zu tun. Knapp acht Millionen abhängig Beschäftigte arbeiteten 2010 im Niedriglohnsektor, hat die Universität Duisburg-Essen in einer neuen Studie ermittelt. Währenddessen versucht die Bundesregierung dem Problem beizukommen, indem sie einen Mindestlohn für tariflose Branchen festlegt. Zumindest die Union scheint auf dem Weg der Einigung zu sein.


Den Zahlen des Instituts Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen zufolge ist die Zahl der deutschen Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor seit 1995 fast kontinuierlich gestiegen. Lag sie vor 17 Jahren noch bei 5,6 Millionen Beschäftigten, erreichte sie 2009 ihren höchsten Wert mit 7,94 Millionen. Im folgenden Jahr 2010 sank die Zahl der schlecht bezahlten Arbeitnehmer allerdings leicht auf 7,92 Millionen – eine Folge der vergleichsweise guten Wirtschaftsentwicklung. Der Grund für das Anwachsen des Niedriglohnsektors liegt, darin sind sich die meisten Arbeitsforscher einig, im gemeinsamen langjährigen Bemühen der Bundesregierungen und vieler Unternehmen, die Löhne zu drücken.


Die im Gegensatz zu anderen Studien hohe Zahl von 7,92 Millionen Niedriglöhnern kommt dadurch zustande, dass die Duisburger Forscher auch Schüler, Studenten und Rentner in die Untersuchung einbezogen haben. „Niedriglohn“ definieren Claudia Weinkopf und Thorsten Kalina als „zwei Drittel des mittleren Stundenlohns“. In Ostdeutschland lag die Grenze, unterhalb der eine Bezahlung als niedrig eingestuft wird, bei 7,04 Euro, im Westen bei 9,54 Euro. Die bundesweite Niedriglohn-Schwelle betrug 9,15 Euro.


Besonders von schlechter Bezahlung betroffen sind Arbeitnehmer ohne Ausbildung, junge Leute, Immigranten, Frauen und Teilzeitjobber. Etwa ein Drittel aller Niedriglöhner sind in 400-Euro-Jobs tätig. Dies deutet auf den Umstand hin, dass nicht alle der acht Millionen schlecht Bezahlten gezwungen sind, ihren Lebensunterhalt komplett aus dem erbärmlichen Lohn zu finanzieren. Viele 400-Euro-Jobber beschränken sich schließlich auf eine Mini-Stelle, weil sie noch andere Einkommensquellen haben. Besorgniserregend aber ist die Lage vieler Vollzeit-Beschäftigter. 2010 arbeiteten etwa 1,4 Millionen von ihnen für weniger als sieben Euro pro Stunde, haben die Weinkopf und Kalina ermittelt.


Vor allem diese Tatsache heizt nun auch die Debatte über den Mindestlohn wieder an. Für einige große Branchen mit starker Gewerkschaftsorganisierung wie die Bauwirtschaft und die Gebäudereinigung existieren bereits Lohnuntergrenzen, die Unternehmen nicht unterbieten dürfen. Nun aber debattiert die Regierungskoalition darüber, wie man auch Arbeitnehmer in tariflosen Branchen schützen könnte.


Der Arbeitnehmerflügel der Union treibt diese Diskussion voran, FDP und CDU-Wirtschaftsflügel wehren sich. Der baden-württembergische CDU-Abgeordnete Peter Weiß (Emmendingen) stellt jetzt eine baldige Einigung wenigstens in der Union in Aussicht. Sozial- und Wirtschaftsflügel müssen unter anderem noch klären, wer in der neuen durch Gewerkschaften und Arbeitgeber paritätisch besetzten Mindestlohn-Kommission das letzte Wort haben soll. Wird in diesem Punkt ein Kompromiss gefunden, ist das Gesetz aber noch nicht auf dem Weg. „Wenn wir uns in der Union geeinigt haben, beginnen die Verhandlungen mit der FDP“, sagt Weiß gegenüber dieser Zeitung.

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