• Ban Ki Moon als Flüchtling |Foto: Williams/Crossroads
    Ban Ki Moon als Flüchtling |Foto: Williams/Crossroads

Flüchtling in Davos

Simulation für Manager

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Von Hannes Koch

27. Jan. 2012 –

Schreie, Schüsse, gebellte Kommandos. Eine Taschenlampe leuchtet in die Augen, daneben der Lauf der Maschinenpistole. „Raus aus dem Zelt, schneller, stellt Euch in einer Reihe auf, schneller.“ Wir stolpern übereinander. Der Offizier in gefleckter Uniform brüllt. Stöße mit der Kalaschnikow in die Rippen. Wir werden in die Zelte zurückgetrieben. An Ruhe ist nicht zu denken.


Wieder Hilferufe, Lärm, Maschinengewehrsalven. Wir stehen Schlange für ein Stück Brot. Viele Leute sind verletzt, Wunden von Machetenhieben und Schüssen. Im dreckigen Sanitätszelt gibt es - nichts. So ähnlich, und doch ganz anders soll er sein, der Alltag in Flüchtlingslagern irgendwo auf der Welt. Jetzt, hier, mitten im Schweizer Bergkurort Davos, handelt es sich um eine Simulation, an der teilnehmen kann, wer eine Stunde einen Hauch von Flüchtlingsschicksal erleben mag.


Die private Wohltätigkeitsorganisation Crossroads aus Hongkong hat ihren Parcour „Refugee Run“ aufgebaut. Man kann sich anmelden und kommt in Berührung mit ziemlich vielem, was im mitteleuropäischen Leben keine Rolle spielt: Stacheldraht, zugeschissene Latrinen, räuberische Helfer, die einem als Gegenleistung für eine Schale Reis die Schuhe klauen. Alles Schauspiel, das wissen wir, und doch sehr eindrücklich – man bekommt eine Ahnung, was es heißt, bewaffneten Menschenschindern ausgeliefert zu sein. Ein bisschen kriecht die Angst hoch, was sie als Nächstes mit einem anstellen.


Warum macht Crossroads-Chefin Sally Begbie diese Show in Davos? Die frühere PR-Beraterin, die in Hongkong lebt, lädt nicht nur Journalisten und Schulklassen ein, sondern anlässlich des Wirtschaftsforums auch Manager. Nach der einen Stunde im simulierten Lager, so Begbie, würde mancher Konzernchef fragen: „Was kann ich tun?“ Die Frau mit den kurzen blonden Haaren antwortet dann: „Das, was Ihr Unternehmen am besten kann.“


So habe Microsoft dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, mit dem Crossroads kooperiert, eine große Anzahl von Computern gespendet. Andere Firmen würden sich um die Schulmaterial für die Kinder in den Lagern kümmern. Aber sind manche Unternehmen nicht auch mitverantwortlich für das Elend – indem sie Staudämme bauen, Agrarland aufkaufen oder auf andere Weise Menschen zu Flüchtlingen machen? Da ist die Crossroads-Chefin sehr vorsichtig. Durch kritische Reden will sie den guten Kontakt zur Wirtschaft nicht verderben.


Crossroads ist ein Beispiel dafür, was WEF-Chef Klaus Schwab mit dem Motto des Wirtschaftsforum meint: „Den Zustand der Welt verbessern“. Dies ist der erste Debatte, die in Davos abläuft – der Wohltätigkeitsdiskurs. Im Mittelpunkt steht, dass Konzerne in der Öffentlichkeit gut aussehen wollen, obwohl sie vielleicht gar nicht so gut sind.


Das zweite Gespräch steht dieses Jahr im Zeichen der Kapitalismus-Debatte. Politiker und Vorstände streiten darüber, ob die Wirtschaft als Reaktion auf die Finanzkrise einen stärkeren Zügel der Regierungen braucht. Kann die Marktwirtschaft soziale Inklusion und Teilhabe für möglichst alle Bürger der Erde schaffen? Leisten die Unternehmen das auch unter den aktuellen Bedingungen, die da heißen: sinkende Wachstumsraten und sinkende staatliche Ausgaben infolge der Schuldenprobleme?


Nein, erklärt Nariman Behravesh, Chefökonom von IHS Globalinsight, einer weltweiten Analysefirma. Das gegenwärtige kapitalistische Modell habe durchaus Fehler, beispielsweise die zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, die an die 1930er Jahre in den USA erinnere. Deshalb plädiert er dafür, den Reichen höhere Steuern aufzuerlegen und diese Mittel für Infrastruktur und Bildung auszugeben.


Viele Vorstände argumentieren dagegen recht selbstbewusst, etwa Ben Verwaayen, der Vorstandschef von Alcatel-Lucent. Im Gegensatz zu Gewerkschaften und Regierungen, die immer nur auf das Bewahren alter Strukturen setzten, würden ja die Firmen neue Produkte, neue Jobs und mehr Wohlstand schaffen, meint Verwaayen. Wer etwas für die Arbeitslosen tun wolle, müsse also den Unternehmen und gerade den Entrepreneuren, die Start-Ups gründen, die Bahn frei machen.


Und wie sieht das ein Angehöriger dieser Spezies? Lars Hinrichs, den 35jährigen Gründer der Internetfirmen politik-digital.de und Xing, erwischt man mit etwas Glück im Kongresszentrum von Davos. Wieviel Zeit er hat? Zehn Minuten. Er sagt: „In den vergangenen 18 Monaten habe ich zwölf Unternehmen mitgegründet“. Hinrichs betätigt sich als Investor. Mit den Millionen, die er unter anderem durch den Verkauf von Xing-Anteilen an den Burda-Konzern verdient hat, fördert er neue Internetfirmen.


Als Hinrichs vor einiger Zeit beim Bundesvorstand der CDU eingeladen war, hat er der Kanzlerin gesagt, dass „Deutschland deutlich mehr Unternehmertum brauche“. Von der Politik wünscht er sich „Viagra für Unternehmer“. Nicht kompliziertere Regelungen, sondern einfachere, zum Beispiel die Rechtsform einer „kleinen GmbH“, die überall in Europa gelten solle. „Unternehmen sind die Einzigen“, so Hinrichs, „die zur Verantwortung für etwas Neues bereit sind, die zum Beispiel Leute einstellen“. Diese Haltung, die man in Davos oft antrifft, steht im merkwürdigen Gegensatz zur aktuellen Ansage der Regierenden, die, wie es Kanzlerin Merkel formuliert, das „Primat der Politik“ über die Märkte wiederherstellen wollen.


Und hat Hinrichs eigentlich auch Geschäfte in Davos gemacht? Er schüttelt schon beim Ansatz der Frage den Kopf. Keine Informationen, auch nicht anonymisiert. Womit wir beim dritten Diskurs von Davos angelangt sind. Möglicherweise ist der am wichtigsten – das Kauf- und Verkaufsgespräch.


Die Deutsche Börse AG betreibt hier Lobbying für die geplante Fusion mit der New Yorker Börse. Chinesische Firmen verhandeln über die Ausbeutung von Erdgas im Schiefergestein Nordamerikas. Und auch das Agrobusiness ist in Bewegung. Konzerne wie Monsanto, Syngenta, Bayer und Kraft präsentieren ihr gemeinsames Projekt „Neue Vision für die Landwirtschaft“. Die Unternehmen versprechen, der einen Milliarde hungernder Menschen zu helfen und den Kleinbauern in Asien und Afrika Zugang zu produktiveren Anbaumethoden zu verschaffen. Was der wirkliche Inhalt dieser Gespräche ist, erfährt man allerdings kaum. Dieser Teil des Debatten findet in geschlossenen Veranstaltungen und den Suiten der Hotels am Berghang oberhalb des Kongresszentrums statt.

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