Flüchtlinge sorgen für Sonderkonjunktur

Wirtschaftsforscher für die schnelle Integration in den Arbeitsmarkt.

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Von Wolfgang Mulke

08. Okt. 2015 –

Der Ansturm von Asylsuchenden bringt der deutschen Wirtschaft eine kleine Sonderkonjunktur. Nach Berechnungen der führenden Forschungsinstitute wird die öffentliche Hand für Flüchtlinge in diesem Jahr vier Milliarden Euro, im kommenden Jahr sieben Milliarden Euro mehr ausgeben als geplant. "Das wirkt ähnlich wie ein Konjunkturprogramm", sagt Ferdinand Fichtner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

 

Die finanziellen Spielräume dafür sind in den öffentlichen Haushalten vorhanden. Das Herbstgutachten der Forscher geht von einem anhaltenden Finanzierungsüberschuss des Staates aus. In diesem Jahr nehmen die Kassenwarte demnach 23 Milliarden Euro mehr ein als sie ausgeben, 2016 wird der Überschuss noch 13 Milliarden Euro betragen. Die konjunturelle Entwicklung schätzen die Institute als stabil ein. In diesem und dem kommenden Jahr erwarten sie ein Wachstum von 1,8 Prozent bei einer leicht von derzeit fast null Prozent auf dann 1,1 Prozent steigenden Inflationsrate.

 

Auf dem Arbeitsmarkt machen sich die Flüchtlinge vorerst kaum bemerkbar. In diesem Jahr werden laut Gutachten 30.000 von ihnen eine Job suchen. 2016 drängen dann 300.000 Asylbewerber auf den Stellenmarkt. Trotzdem erwarten die Forscher nur einen geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit um 75.000 Jobsuchende. "Der Arbeitsmarkt kann die Flüchtlinge ganz gut wegstecken", versichert Fichtner.

 

Wie sich die Zuwanderungswelle langfristig auswirkt, können auch die Experten derzeit nicht abschätzen. Die Gutachter warnen jedoch vor Risiken. Ein guter Teil der Flüchtlinge sei nur gering qualifiziert. Nach ihrer Einschätzung könnte der Mindestlohn ihre Integration am Arbeitsmarkt gefährden. Eine Abschaffung fordern sie jedoch nicht. Dagegen will der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, die Lohnuntergrenze streichen, um die Migranten zu integrieren. Das trägt dem Forscher harsche Kritik von Gewerkschaftsseite ein. "Die Forderungen schüren ohnehin bestehende Vorbehalte gegenüber den Asylsuchenden", sagt Dietmar Schäfers, Chef der IG Bau und nennt Sinn eine "geistigen Brandstifter".

 

Trotz der absehbaren Schwierigkeiten halten die Gutachter die Integration der Neubürger am Arbeitsmarkt für die entscheidende Frage von Erfolg und Misserfolg der Asylpolitik. "Es geht darum, dass wir gute Startbedingungen schaffen", schlägt Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut Halle als ersten Schritt vor. Sprachskurse und Ausbildungsplätze für junge Migranten sollen die Eingliederung erleichtern. Die Forscher warnen vor einer Verteilung der Flüchtlinge vor allem an Orte mit geringen Wohnkosten, weil dies auch die Regionen mit wenigen Arbeitsplätzen sind.

 

Langfristig hängt viel von der Qualifikation der Zuwanderer ab. Je besser ausgebildet sie sind, desto höher ihr Einkommen und ihre Beteiligung an der Finanzierung des Gemeinwohls durch Steuern und Sozialabgaben. Prognosen über die wirtschaftlichen Effekte der Aufnahme Hunderttausender können die Gutachter noch nicht erstellen. "Wir stochern ganz stark im Nebel", bekennt Timo Woltershäuser vom ifo-Institut.

 

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