„Für die Beschäftigten bleibt kaum etwas übrig“

Firmenberater Löning rät der Textilkette Primark, die Arbeit in ihren Zulieferfabriken zu verbessern. Neues Geschäft am Donnerstag

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Von Hannes Koch

03. Jul. 2014 –

Hannes Koch: In Kleidungsstücken der Textilkette Primark haben Käufer eingenähte Hilferufe entdeckt, die auf die schlechten Arbeitsbedingungen in den Fabriken hinweisen. Die Firma vermutet eine Irreführung und Fälschung durch Kritiker. Reicht diese Reaktion?

 

Markus Löning: Nein, das Unternehmen sollte die Vorwürfe ernstnehmen. Schließlich müssen wir davon ausgehen, dass die Löhne in manchen Zulieferfabriken tatsächlich zu niedrig und die Überstunden zu lang sind.

 

Koch: Wie kommen Sie zu dieser Vermutung?

 

Löning: Wenn ein Hemd im Primark-Geschäft nur fünf Euro kostet, ist es relativ unwahrscheinlich, dass die Beschäftigten in Bangladesch, Indien oder China ausreichende Löhne erhalten. Man muss ja vom Endpreis die Umsatzsteuer abziehen, Kosten wie Geschäftsmiete, Transport und Vertrieb, außerdem den Gewinn der Firma. Dann bleibt für die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Herstellung kaum etwas übrig.

 

Koch: Die Kampagne für Saubere Kleidung räumt ein, dass Primark versucht, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das Unternehmen bekennt sich zum Existenzlohn, der den Arbeiterfamilien nicht nur Essen und Wohnung, sondern auch Altersvorsorge und Bildung ermöglichen soll. Was kann der Konzern mehr tun?

 

Löning: Jedes Unternehmen, das auf globale Zulieferer angewiesen ist, muss mit diesen in einen intensiven Austausch treten. Es kann in den Lieferbedingungen zum Beispiel existenzsichernde Löhne vorschreiben. Die europäischen Unternehmen sollten die Fabriken aber auch dabei unterstützen, ihre Verpflichtungen einzuhalten.

 

Koch: Ist eine zuverlässige Kontrolle überhaupt möglich, wenn man in einer Firmenzentrale in Düsseldorf oder Dublin sitzt und eine Fabrik irgendwo in Indien überprüfen will?

 

Löning: Selbst ein scheinbar einfaches Produkt wie ein Oberhemd kann aus 40 bis 50 Teilen bestehen, die zahlreiche Sublieferanten produzieren. Die Produktionsketten sind deshalb komplex und verschachtelt. Den Auftraggebern bleibt nichts übrig, als bei der Endfertigung anzusetzen und Schritt für Schritt weiter zurückgehen. Das ist ein mühevoller Prozess. Aber er ist notwendig.

 

Koch: In vielen Zulieferfabriken dürfen die Beschäftigten nicht über ihren Lohn verhandeln. Freiheit der gewerkschaftlichen Betätigung – wäre das nicht die wichtigste Verbesserung?

 

Löning: Ja, denn die wirksamste Kontrolle ist die, die die Beschäftigten vor Ort in ihrem eigenen Interesse ausüben.

 

Koch: Sollten Textilhändler wie H&M, C&A, KiK und Primark keine Aufträge an Zulieferfirmen in China erteilen, wo unabhängige Gewerkschaften verboten sind?

 

Löning: Die gute Nachricht: In China sieht man Bewegung. Wenn sich die Arbeiter zusammenschließen, machen die Firmen und die Partei Zugeständnisse. So haben die chinesischen Beschäftigten, die kürzlich in einer Schuhfabrik streikten, ihre Forderungen anscheinend durchgesetzt. Die europäischen Firmen sollten die Beschäftigten in solchen Auseinandersetzungen unterstützen.

 

Koch: CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller will ein neues Textilsiegel für faire Produktion einführen. Eine gute Idee?

 

Löning: Solch ein No-Problem-Stempel wird der komplexen Lage nicht gerecht. In korrupten Staaten wäre er nur von begrenztem Wert, denn Unternehmen können dieses Zertifikat kaufen. Ich sehe keine Alternative dazu, dass die Auftraggeber mit ihren Zulieferern eng zusammen arbeiten, und Arbeitnehmervertretungen unterstützen.

 

Koch: Sie sagen, die Bundesregierung müsse einen umfassenden Ansatz entwickeln, um gerade mittelständische Händler hinsichtlich ihrer Verantwortung für die Produktionskette zu unterstützen. Warum haben Sie das nicht selbst gemacht, als Sie Mitglied der Regierung waren?

 

Löning: Auch ich habe das Thema zu spät erkannt. Dass wir kaum vorangekommen sind, lag nicht zuletzt an der Blockade durch das Wirtschaftsministerium. Die Verweigerung dort halte ich für einen Fehler. Denn der Markt bewegt sich in Richtung verantwortungsvoller Unternehmensführung. Nicht nur viele Verbraucher verlangen das, sondern auch zahlreiche Investoren.

 

Bio-Kasten

Markus Löning (54) arbeitet als Unternehmensberater für Menschenrechte. Bis 2014 war der FDP-Politiker Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechte mit Sitz im Auswärtigem Amt. 2004 bis 2009 leitete er den Landesverband der FDP in Berlin.

 

Info-Kasten

Der Primark-Fall

In einer Hose, die sie beim Textilhändler Primark gekauft hatte, entdeckte eine Käuferin kürzlich einen auf chinesisch verfassten Hilferuf, der in einen Gefängnisausweis eingewickelt gewesen sei. Das berichtete der britische Sender BBC. Auf dem Zettel stand demnach, „wir arbeiten wie Ochsen und unser Essen ist schlechter als das für Schweine und Hunde“. Primark untersucht die Sache, vermutet aber einen Streich von Kritikern. Unter anderem die Kampagne für Saubere Kleidung erhebt Vorwürfe wegen angeblich schlechter Arbeitsbedingungen in ausländischen Fabriken, die für die Billig-Modekette arbeiten. Primark ist eine Tochter des börsennotierten britischen Mischkonzerns Associated British Foods. In Deutschland gibt es bisher acht Filialen, unter anderem in Hannover, Düsseldorf, Dortmund und Karlsruhe. Am Donnerstag soll eine weitere in Berlin eröffnen.

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