Für eine Wirtschaft der Bürger

Ökonomische Selbsthilfe gegen die Herrschaft der großen Unternehmen: Mehr Bürger gehen mit ihrem Geld politisch um – sie investieren in autonome Energieproduktion und lösen ihre Konten bei den konventionellen Banken auf. Die neue Zivilökonomie ist noch kl

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Von Hannes Koch

14. Okt. 2009 –

Die geniale Idee hatten die Manager der Hamburger Ökostrom-Firma Lichtblick. Viele kleine Kraftwerke in vielen Wohnhäusern machen, über die Datennetze zusammengekoppelt, große Atom- und Kohlekraftwerke überflüssig. Der VW-Konzern liefert bald die umgebauten Motoren, die in tausenden Gebäuden gleichzeitig Strom und Wärme produzieren – enorm effektiv, enorm flexibel, enorm billig.


Das ist ein Beispiel für eine neue Art des Wirtschaftens – die Zivilökonomie. Ähnlich wie die moderne Zivilgesellschaft aus Umweltinitiativen, Bürgerrechtsgruppen und Verbraucherverbänden seit den 1970er Jahren die Politik des Staates abfedert und umlenkt, wächst allmählich auch eine zivile Art des Wirtschaftens.


Die Haus- und Wohnungsbesitzer, die bald in Hamburg, später in ganz Deutschland, Mini-Kraftwerke in ihre Keller bauen, machen sich unabhängig von den Stromkonzernen. Sie entziehen den großen Unternehmen einen Teil ihrer Macht. Während diese in erster Linie möglichst hohen Gewinn erwirtschaften, und nur in zweiter Linie vernünftige Produkte verkaufen wollen, handeln die Energie-Autonomen anders.


Erstens vertrauen sie auf ihre eigene unternehmerische Kraft. Zweitens streben sie nicht nach Profitmaximierung, wenngleich auch sie einen finanziellen Vorteil erzielen wollen. Sie begnügen sich mit einer moderaten Rendite. Der Grund: Neben dem Profit verfolgen sie drittens auch andere Ziele – etwa den Schutz des Klimas. Die Bürger-Unternehmer betreiben damit eine pluralistische Form des Wirtschaftens, die sich wohltuend von der eindimensionalen Gewinnmaximierung der meisten Unternehmen unterscheidet.


Nicht nur die Klimakrise, sondern auch die Finanzkrise hat das Misstrauen gegenüber dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem vertieft. Manche Bürger entziehen dem alten System nun ihr Geld und tragen es zu alternativen Banken. So berichtet die GLS-Bank in Bochum, die sozial- und umweltverträgliches Investment anbietet, dass die Zahl ihrer Kunden seit Anfang 2008 von 55.000 auf mittlerweile 70.000 angestiegen ist. Die Bilanzsumme wird dieses Jahr um rund 30 Prozent auf mehr als 1,3 Milliarden Euro wachsen. Bei anderen Öko-Investment-Firmen ist es ähnlich.


Die konventionellen Kapitalverwalter dagegen leiden unter dem Finanzcrash. Um 100.000 sank bis Mitte 2008 die Zahl der Bundesbürger, die Anteile an Investmentfonds besaßen. Dies sagt der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI), in dem sich die großen Kapitalanlagefirmen zusammengeschlossen haben. Der Verlust für die Institute hält sich zwar in Grenzen: Insgesamt ging die Zahl der Fondsbesitzer nur von 16 Millionen (2007) auf 15,9 Millionen zurück. Aber das könnte ein Anfang sein.


Denn auch der Geldnachschub läuft träge. Bei den Investmentfonds, über die der BVI berichtet, gingen zwischen Januar und August 2009 etwa 87 Prozent weniger neue Mittel ein als im gleichen Zeitraum 2007. Zwischen Januar und August 2009 betrug der Zuwachs rund 5,7 Milliarden Euro. 2007 hatte das Volumen dagegen um fast 46 Milliarden zugenommen. Offensichtlich haben weniger Leute Lust, ihr Geld in die konventionellen Fonds der schlecht beleumundeten Institute zu stecken.


Zwei Motive dürften dabei eine Rolle spielen – zum einen die Angst vor Wertverlusten im Zuge der Finanzkrise, zum anderen aber ein zunehmendes Unbehagen gegenüber der traditionellen Wachstums- und Gewinnökonomie.


Solche Ansätze sind an vielen Stellen zu beobachten. US-amerikanische Privatentwickler bringen Elektroautos auf die Starßen, die die großen Unternehmen noch nicht herstellen wollen. Die Gewerkschaft IG Metall fordert neuerdings, dass die Beschäftigten nennenswerte Aktienanteile an den Automobilkonzernen erhalten sollen. Andere Unternehmen müssen darauf achten, keine T-Shirts zu verkaufen, die von Kinderarbeitern hergestellt wurden. Immer geht es darum, die alte Logik der eindimensionalen Gewinnorientierung zu brechen und weitere Gesichtspunkte einzubeziehen – Klima, Umwelt, Menschenrechte, die Interessen der Beschäftigten.


Mit ihren neuen Bedürfnissen und Interessen besänftigen die Bürger die Marktwirtschaft. Der Konstanzer Kulturwissenschaftler Nico Stehr hat dafür dafür den Begriff der „Moralisierung der Märkte“ gefunden. Bisher sind das allerdings nur Anfänge. Wenige Prozent des gesamten in Deutschland angelegten Kapitals stecken in alternativen Investments. Und nur einige Prozent der verkauften Waren genügen besonderen ökologischen und sozialen Kriterien.


Aber dieser Fluss wird breiter. Das beste Beispiel: Ein weltweites Netzwerk von Entwicklern arbeitet an Computer-Programmen wie Firefox, die das Surfen im Internet ermöglichen, oder dem Betriebssystem Linux. Die Lizenzen dieser Programme erlauben allen die kostenlose Nutzung und Weiterentwicklung des öffentlich einsehbaren Porgrammcodes. Microsoft macht das Gegenteil. Die Basiscodes seiner Programme Windows und Internet-Explorer sind geheim. Der Konzern erwirtschaftet damit den maximalen Gewinn. Und doch gewinnen die offenen Programme zunehmende Marktanteile. Bei Linux sind es weltweit mittlerweile fast 30 Prozent, bei Firefox 25 Prozent.


Das ist Zivilökonomie. Als drittes Element tritt sie zwischen die Bürger und die Konzerne – ähnlich den Bürgerinitiativen, die dem starken Staat Macht entziehen. Hier entwickelt sich ein Raum für ökonomische Selbstbestimmung. Wer will, kann daran teilnehmen. Und viele Menschen tun es. Sie räumen ihre Konten bei der Commerzbank und eröffnen neue bei einer Ökobank. Das ist ganz einfach. Denn nicht nur die Politik, auch die Wirtschaft ist eine pluralistische Veranstaltung.

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