Gauck plädiert für Begrenzung der Flüchtlingszahlen

Dies sei eine Voraussetzung, um die Aufnahmebereitschaft der deutschen Bevölkerung zu erhalten, sagte der Bundespräsident in seiner Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

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Von Hannes Koch

20. Jan. 2016 –

Für die Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland hat sich Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos eingesetzt. Das sei keine „reflexhafte Abwehr, sondern Element verantwortungsbewussten Regierungshandelns“, sagte Gauck. Der Kongress in dem Schweizer Bergort mit rund 2.500 Managern, Politikern und Wissenschaftlern wurde am Mittwoch eröffnet.

 

Gauck versuchte, die deutsche Politik nach außen zu erklären und die Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu unterstützen. „Eine Begrenzungsstrategie kann moralisch und politisch geboten sein, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten“, so Gauck. „Sie kann auch geboten sein, um die Unterstützung für eine menschenfreundliche Aufnahme der Flüchtlinge zu sichern.“ Deshalb suche die Bundesregierung nun „nach Lösungen, um die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren. Gerade weil wir möglichst vielen Schutz bieten wollen, werden wir – so problematisch, ja tragisch es sein kann – nicht alle aufnehmen können.“ Auf eine zahlenmäßig definierte Obergrenze wie sie etwa die CSU verlangt, ging Gauck nicht ein.

 

Wichtig sei es besonders, die Außengrenzen der Europäischen Union zu sichern und ihnen wieder Geltung zu verschaffen. Kritik übte der Bundespräsident an Regierungen in Europa, die wenige oder keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. “Ich kann aber nur schwer verstehen, wenn ausgerechnet Länder Verfolgten ihre Solidarität entziehen, deren Bürger als politisch Verfolgte einst selbst Solidarität erfahren haben.“ Einzelne Staaten wie Polen, Tschechien oder Ungarn nannte Gauck nicht.

 

Der Präsident thematisierte auch die Probleme, die Migration mit sich bringt. „Nicht alle Zuwanderer haben alle europäischen Grundüberzeugungen übernommen. Das gilt besonders für manche Menschen, die selbst oder deren Familien aus muslimischen Ländern stammen, und es gilt für ihre Ansichten etwa über die Rolle der Frau, die Toleranz, die Rolle der Religion oder über unser Rechtssystem.“ Deshalb sei es essentiell, „Migration und Integration zusammenzudenken“.

 

Grundsätzlich plädierte der Bundespräsident für Flüchtlingsschutz und Zuwanderung: „Die Aufnahme Verfolgter ist ein Gebot humanitärer Verantwortung. Menschen, die unseres Schutzes bedürfen, dürfen etwas kosten.“ Migration sei „vielfach Motor für Fortschritt und wirtschaftlichen Aufschwung“ gewesen. Der US-Ökonom John Kenneth Galbraith habe Migration einmal als „älteste Maßnahme gegen die Armut“ beschrieben, so Gauck.

 

Am Mittwoch veröffentlichte der Internationale Währungsfonds (IWF) auch seine neue Studie „Die Flüchtlingswelle in Europa – Wirtschaftliche Herausforderungen“. Darin machen die Ökonomen einige Vorschläge, die in Deutschland auf Gegenwehr treffen werden. Sie schlagen beispielsweise vor, begrenzte Ausnahmen für Einwanderer beim Mindestlohn zuzulassen. Dieser liegt in Deutschland seit einem Jahr bei 8,50 Euro brutto pro Stunde. Grundsätzlich darf niemand weniger verdienen. Würde Flüchtlingen dies jedoch gestattet, schreibt der IWF, könnte es ihnen leichter fallen, Arbeitsplätze zu finden. Die Gewerkschaften und auch die Mehrheit der großen Koalition sind dagegen, weil dadurch eine neue Billigkonkurrenz für einheimische Beschäftigte entstehe, was zu weiterer Ablehnung der Neuankömmlinge in der Bevölkerung führen könnte.

 

Außerdem plädieren die IWF-Experten dafür, das Arbeitsverbot für Flüchtlinge möglichst zu lockern oder aufzuheben. Dies reduziere die Kosten für den Staat, weil sie dann für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen könnten. Ferner warnt der Fonds davor, die Freizügigkeit der Neuankömmlinge zu beschränken. Eine verschärfte Residenzpflicht ist dagegen eine Maßnahme, die in Deutschland nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln diskutiert wird. Solche Beschränkungen verhindern laut IWF aber, dass die Flüchtlinge dorthin gehen, wo sie Arbeit finden. Um die Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, könnten auch Lohnsubventionen zugunsten von Einwanderern und Kredite für Betriebsgründungen helfen, heißt es in der Studie.

 

Insgesamt beurteilt der IWF die ökonomischen Aussichten der Einwanderung verhalten positiv. „Der Effekt für einheimische Beschäftigte ist in der Regel klein“, heißt es in der Studie. Migranten würden also den Alteingesessenen nicht die Arbeitsplätze wegnehmen – darauf deuteten die Erfahrungen mit anderen Einwanderungswellen hin. Ein Grund dafür: Neuankömmlinge würden häufig in anderen Segmenten des Arbeitsmarktes Fuß fassen, als sie für Einheimische relevant seien. Als Beispiele können hier türkische Restaurants und Gemüsegeschäfte gelten, die es vor der türkischen Einwanderung nicht gab, in denen aber auch keine Deutschen arbeiten.

 

Kurzfristig wird nach Ansicht des IWF die Wirtschaftsleistung in den Staaten mit hoher Einwanderung steigen – vornehmlich Deutschland, Österreich und Schweden. Die Nachfrage ziehe an, was auch wieder zu mehr Arbeitsplätzen führen könne. Die langfristige Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts hänge hingegen davon ab, wie schnell und gut die Flüchtlinge Jobs fänden. Dies sei auch ausschlaggebend dafür, wie sich die gesellschaftlichen Kosten entwickeln. Wenn mehr Flüchtlinge arbeiten, zahlen sie Steuern und Sozialbeiträge, was auch dazu beitrage könne, die die durch die Alterung der deutschen Bevölkerung entstehenden Finanzierungsprobleme der Sozialsysteme zu lindern.

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