„Geld der Bürger für Entwicklungshilfe“

Minister Dirk Niebel (FDP) plädiert für neuen öffentlich-privaten Fonds zur Entwicklungsfinanzierung. „Wir halten unsere Versprechen ein“, antwortet er Kritikern, die den niedrigen deutschen Beitrag zu Armutsbekämpfung beklagen. Bisher 58 Millionen Euro d

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Von Hannes Koch

18. Aug. 2010 –

Hannes Koch: Herr Niebel, haben Sie persönlich für die Opfer der Flut in Pakistan gespendet?


Dirk Niebel: Ja, das habe ich gemacht. Und ich habe dieses Jahr auch schon eine Reise dorthin unternommen. Denn ich glaube, dass mehr Geld in diese Region zugunsten der Zivilbevölkerung fließen muss. Wir sollten den Menschen in Pakistan zeigen, dass sie uns wichtig sind – dann haben auch religiöse Fanatiker schlechtere Chancen.


Koch: Woher kommt die Zurückhaltung in der deutschen Bevölkerung bei den Pakistan-Spenden?


Niebel: Die Spenden nehmen zu. Aber es ist auch eine Imagefrage. Manche Bürger haben die Sorge, dass die Mittel in die falschen Hände geraten – was in der Vergangenheit zuweilen vorgekommen ist. Bezüglich der deutschen Unterstützung kann ich das aber ausschließen. Wir arbeiten seit langem mit verlässlichen Organisationen wie der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) oder dem Roten Kreuz zusammen, die das Geld direkt zugunsten der Flutopfer einsetzen.


Koch: Immer soll man an die Menschen irgendwo auf der Welt denken, denen es schlecht geht. Fühlen sich manche Bürger überfordert und verweigern sich deshalb?


Niebel: Nein, die Hilfsbereitschaft ist sehr groß. Für Haiti haben private Spender in Deutschland rund 200 Millionen Euro überwiesen. Aber es gab in diesem Jahr viele Katastrophen. Das kann eine Ursache der Zurückhaltung sein.


Koch: Entwicklungsorganisationen wie „Brot für die Welt“ kritisieren, dass auch die Hilfe der Bundesregierung für Pakistan unzureichend sei.


Niebel: Die Bundesregierung hat bislang 58 Millionen Euro bereitgestellt. Das ist eine ganze Menge.


Koch: Für Haiti waren es etwa 250 Millionen. Selbst Ihr Koalitionspartner Ruprecht Polenz von der CDU sagt, das letzte Wort über die Höhe der Hilfe sei noch nicht gesprochen.


Niebel: Wir müssen den Fortgang der Katastrophe im Auge behalten. Am Donnerstag (19.8.) wird eine Vollversammlung der Vereinten Nationen stattfinden und EU-Kommissionspräsident Barroso hat angekündigt, eine Geberkonferenz einzuberufen. Daran wird Deutschland sich beteiligen.


Koch: Im Rahmen der Jahrtausend-Ziele hat die Bundesregierung versprochen, sich stark gegen die weltweite Armut zu engagieren. Nun ist die Regierung dabei, ihr Versprechen zu brechen. Schlägt der alte nationale Egoismus wieder durch?


Niebel: Überhaupt nicht. Denn wir halten unsere Versprechen ein. Bis 2015 wollen wir dazu beitragen, die Armut auf der Welt zu halbieren. Bei diesem Ziel bleibt es. Deshalb werden wir in den nächsten fünf Jahren 400 Millionen Euro zusätzlich einsetzen, um die Sterblichkeit von Müttern und Kindern in Entwicklungsländern zu verringern. Und beim UN-Millenniumsgipfel im kommenden September arbeiten wir ausdrücklich daran mit, dass die Armutsbekämpfung auch nach 2015 fortgesetzt wird.


Koch: In diesem Jahr sollten in Deutschland eigentlich schon 0,51 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für öffentliche Entwicklungshilfe zu Verfügung stehen. Das hat nicht funktioniert.


Niebel: Die absolut ausgezahlte Summe hat zugenommen. Und auch die 0,4 Prozent, die wir in 2010 erreichen, halte ich für eine außerordentliche Leistung, wenn man bedenkt, dass ich mein Amt bei einer Quote von 0,35 Prozent von der Vorgängerregierung übernommen habe. Den Anteil der Entwicklungshilfe am BIP weiter wie geplant zu steigern, wird aber nicht einfach.


Koch: Im Jahr 2015 will die Bundesregierung eigentlich 0,7 Prozent erreichen – so lautet die Zusage. Ihr Ministerium müsste rund vier bis fünf Milliarden Euro zusätzlich beschaffen. Angesichts der hohen Staatsverschuldung und der Sparpolitik erscheint das illusorisch.


Niebel: Das kommt darauf an, ob man dafür nur klassische Haushaltsmittel einsetzt, oder auch andere Gelder. Außerdem ist es nicht entscheidend, wieviel Geld man ausgibt, sondern wie effektiv man es verwendet. Wir wollen zunächst die Wirksamkeit erhöhen, um mit dem Geld der Steuerzahler eine sinnvolle Politik zu bezahlen. Darüber hinaus müssen wir aber auch neue Finanzierungsmöglichkeiten entwickeln, die nicht auf Steuererhöhungen hinauslaufen. Im Koalitionsvertrag steht, dass die Hälfte der Erlöse aus dem Emissionshandel für die Entwicklungspolitik verwendet werden soll.


Koch: Angesichts der knappen Kassenlage ist es nicht realistisch, dass Sie die Hälfte der Emissionsgelder erhalten.


Niebel: Ich gehe stark davon aus, dass sich alle Beteiligten in der Regierung an den Koalitionsvertrag halten.


Koch: Sie plädieren auch dafür, die Wirtschaft und andere private Geldgeber stärker in die Finanzierung einzubeziehen. Wollen Sie Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen als Entwicklungshilfe verbuchen?


Niebel: Nein, das dürfen wir gar nicht. Wir brauchen neue Finanzierungsinstrumente. Wir denken beispielsweise daran, einen neuen Deutschen Fonds zu gründen. Daran könnten sich auch private Geldgeber beteiligen.


Koch: Diesen German Fund gibt es noch nicht?


Niebel: Nein, wir prüfen gerade, wie man das machen kann. Einerseits könnten Haushaltsmittel in diesen Fonds fließen. Aber auch Bürger könnten sich beteiligen, die ihr Geld in die gute Sache investieren wollen. Unternehmen würden wir ebenfalls ansprechen. Auf diese Art wäre es möglich, mit Hilfe öffentlicher Mittel zusätzliches privates Geld zu mobilisieren und beides zu kombinieren. Die Summe würde dann als öffentliche Entwicklungshilfe kontrolliert vergeben.



„Die Mittelschicht hört unsere Botschaft“


Minister Niebel zur Lage der Koalition


Hannes Koch: Herr Niebel, gerade in Ihrer Partei wird beklagt, dass die Regierungskoalition aus Union und FDP kein gemeinsames Projekt verfolge. Welches könnte das sein?


Dirk Niebel: Wir haben die Bürger im Januar dieses Jahres finanziell entlastet. Wir erleben jetzt die geringste Arbeitslosigkeit seit 1992 und ein außergewöhnliches Wachstum. Die Botschaft lautet: Wir müssen die Mittelschicht weiter entlasten, damit die Menschen Luft zum Atmen haben. Das stärkt das Wachstum und führt zu soliden Haushalten.


Koch: Die erstaunliche Dynamik auf Ihr bescheidenes Konjunkturpaket zurückzuführen, ist leicht übertrieben.


Niebel: Wir haben konkrete Entlastungen für Bürger und Betriebe durchgesetzt. Den gegenwärtigen Aufschwung hätte es in dieser Stärke ohne unsere Politik nicht gegeben.


Koch: Die neueste Forsa-Umfrage bescheinigt der FDP einen Zuspruch von weniger als fünf Prozent der Wahlbevölkerung. Warum verfängt Ihre Botschaft nicht?


Niebel: Wir können auf ein Super-Wahlergebnis zurückblicken. Dagegen sind Prognosen immer nur Momentaufnahmen. Wenn die Mittelschicht feststellt, dass sie mehr vom selbstverdienten Geld zur Verfügung hat, wird unsere Botschaft auch gehört. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist unsere wichtigste Aufgabe, danach kommt direkt die Entlastung der Mittelschicht. Auch dieses Ziel bleibt in dieser Legislaturperiode für alle drei Regierungsparteien auf der Tagesordnung.



Bio-Kasten

Dirk Niebel (47) ist seit knapp einem Jahr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Bevor er ins Kabinett aufrückte, war er Generalsekretär der FDP und arbeitsmarktpolitischer Sprecher seiner Partei. Er studierte Verwaltungswissenschaften, war Zeitsoldat, ist verheiratet und Vater dreier Söhne.


Info-Kasten

Flut in Pakistan

Nach Angaben des Entwicklungsministeriums waren bis Dienstag Nachmittag (17.8.) 5,7 Millionen Euro privater Spenden in Deutschland zusammengekommen. Die Bundesregierung sagte bis Mittwoch (18.8.) 52 Millionen Euro zu. Die Vereinten Nationen bestätigten, dass Sie die Hälfte der benötigten Mittel für die Soforthilfe von 459 Millionen Dollar erhalten hätten.

(reuters:) Bislang konnten in den Hochwassergebieten erst etwa 700.000 Flutopfer mit Lebensmitteln und sauberem Wasser versorgt werden, wie die UN mitteilten. Mindestens sechs Millionen sind aber dringend auf Überlebenshilfe angewiesen. Insgesamt sind etwa 17 Millionen Pakistaner von dem Hochwasser betroffen. Allein 3,5 Millionen Kinder sind nach Angaben der UN von tödlichen Infektionskrankheiten bedroht, die von schmutzigem Wasser und Insekten übertragen werden.

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