Gewalt ist an vielen Arbeitsplätzen präsent

Niemand sollte den Helden spielen. Denn wer sich wehrt, bringt sich eher in Gefahr. Arbeitgeber müssen für Schutz sorgen.

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Von Wolfgang Mulke

21. Dez. 2016 –

 

Der Zugbegleiter wollte auf einer Fahrt durch das Saarland Anfang Dezember von drei Fahrgästen nur die Tickets sehen. Einer der Passagiere zog daraufhin eine Pistole aus der Lederjacke. „Das ist unsere Fahrkarte“, sagte der Mann. Der Bahnangestellte kam mit dem Schrecken, die Täter bisher ohne Strafe davon. Die Gewalt gegen das Personal in Bahnhöfen und Zügen nimmt zu. 1.800 Übergriffe zählte das Unternehmen im vergangenen Jahr, 20 Prozent mehr als 2014. Inzwischen werden die besonders gefährdeten Beschäftigten mit Pfefferspray bewaffnet. Doch im Zweifel sollen sie sich erst einmal in Sicherheit bringen. „Es muss niemand den Helden spielen“, erläutert der Sprecher der Bahngewerkschaft EVG, Uwe Reitz. Auf notorisch gefährlichen Strecken sind mittlerweile regelmäßig Sicherheitsleute an Bord.

 

Gewalt am Arbeitsplatz erleben viele Beschäftigte. Polizisten und Feuerwehrleute werden bei Einsätzen bedrängt, Patienten rasten in Krankenhäusern aus und gehen auf Ärzte und Schwestern los, Ladendiebe verletzen Verkäuferinnen, Vermittler im Jobcenter müssen sich vor wütenden Arbeitslosen in Acht nehmen. Allein bei Diebstählen und Überfällen wurden binnen Jahresfrist im Handel mehr als 1.100 Beschäftigte verletzt. Das ergab eine Studie der Deutschen Hochschule der Polizei und der zuständigen Berufsgenossenschaft BGHW. Deren Kollegen aus dem Gesundheitswesen befragten knapp 2.000 Beschäftigte in Kliniken und Pflegeeinrichtungen. 56 Prozent berichteten von körperlichen Attacken, 78 Prozent waren verbaler Gewalt ausgesetzt.

 

Auch Lehrer gehören zu den gefährdeten Berufsgruppen. Doch halten Schulleiter dies gerne unter der Decke. Das beobachtet zumindest der DGB. "Es ist nicht hilfreich, wenn Schulen Gewalt gegen Lehrer unter den Teppich kehren“, kritisiert der DGB-Experte Karsten Schneider. Er sieht auch Mängel bei der Berufsvorbereitung: „Es fehlt in der Lehrerausbildung der Umgang mit Konfliktsituationen."

 

Doch wie können Arbeitnehmer sich vor Übergriffen schützen? Das ist vor allem eine Aufgabe der Arbeitgeber. Damit steht es nicht immer gut. „Unternehmen und Behörden müssen akzeptieren, dass Kunden in den vergangenen Jahren immer aggressiver geworden sind“, sagt Matthias Neu, der an der Hochschule Darmstadt regelmäßig einen Kunden-Konfliktmonitor erstellt. Die alle zwei Jahre erstellte Studie belegt ein seit 2004 stetig anwachsendes Aggressionsverhalten. Vor allem müsse mehr für Schulungen zur Deeskalation getan werden. Neu stellt allerdings auch fest, dass die private Wirtschaft zunehmend Präventionsmaßnahmen ergreift.

 

Arbeitnehmer können selbst vor allem durch eine erhöhte Aufmerksamkeit frühzeitig auf potenzielle Gefahren reagieren, auf die Tonlage des Kunden achten, Verständnis zeigen und bei einer Verschärfung einen Kollegen zum Gespräch hinzuziehen. Gegen geplante Überfälle hilft das allerdings nicht. Im Zweifel geht die eigene Sicherheit vor, rät EVG-Sprecher Reitz. „Wenn der Arbeitgeber die Sicherheit nicht gewährleisten kann, darf die Arbeit unterbrochen werden“, erläutert er. Auf gut deutsch ist Flüchten bei einer Bedrohung erlaubt.

 

Wenn es trotz aller Vorsicht zu einem Übergriff kommt, berichten Experten von Folgeproblemen. So ist mitunter nicht geklärt, ab welcher Eskalationsstufe ein Konflikt als Gewalt eingestuft und Strafanzeige erstattet wird. Überfälle ernst zu nehmen spielt zum Beispiel für die spätere Unterstützung durch eine Berufsgenossenschaft eine wichtige Rolle. „Es ist wichtig, dass das Unternehmen einen Überfall meldet“, betont Siegrid Becker von der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW). Die BGHW bietet dann eine psychologische Soforthilfe an. Auch für die medizinische Reha ist sie zuständig. „Verletzungen müssen nicht immer körperlicher Natur sein, und es ist legitim, nach einem Überfall psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen“, macht die Berufsgenossenschaft den Betroffenen Mut.

 

Ein Gewalterlebnis löst bei Betroffenen häufig ein Trauma aus. Ein weiteres kann später noch folgen, wie Gewerkschafter Schneider beobachtet. Denn Staatsanwälte oder Richter würden Verfahren gegen Täter allzu oft wegen Geringfügigkeit einstellen. "Das erleben Opfer häufig als zweiten traumatisierenden Schlag“, kritisiert Schneider.

 

„Mehr Schutz und Sicherheit im Öffentlichen Dienst“ fordert auch die Jugend des Deutschen Beamtenbundes (dbb) in einer Kampagne. Auf der Internetseite www.angegriffen.info hat die Initiative aus Nordrhein-Westfalen Tipps zur Prävention, aber auch einen „Kummerkasten“ für Betroffene bereitgestellt. Die dort veröffentlichten Erfahrungsberichte geben ein bedenkliches

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