Gewissen für Unternehmen
Analog-Käse, Vattenfall, Finanzkrise – Unternehmen setzen auf maximalen Gewinn. Offiziell versprechen sie zwar, verantwortlich zu handeln. In Wirklichkeit sind Ihnen die Interessen der Bürger aber ziemlich egal. Wir brauchen eine neue Unternehmensverfas
16. Jul. 2009 –
Es ist merkwürdig. Kein großes Unternehmen kommt heute ohne schicke Broschüren und wortreiche Beteuerungen aus, mit denen es seine Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft preist. Auch der Energiekonzern Vattenfall, die Commerzbank oder Knabber-Hersteller Lorenz-Bahlsen machen da keine Ausnahme.
Und doch verstoßen diese Unternehmen gegen ihre Versprechungen. Trotz mehrfacher Unfälle in Atomkraftwerken hat Vattenfall seine Sicherheitsvorkehrungen nicht so verbessert, dass größere Schäden vermieden und die Öffentlichkeit, sowie die Behörden rechtzeitig informiert wurden.
Auch viele Bankvorstände haben sich unverantwortlich verhalten – nicht nur gegenüber ihren Instituten, Kunden und Mitarbeitern, sondern ebenso gegenüber allen Bundesbürgern und dem Staat. Die Manager sind hohe Risiken eingegangen und haben Schäden in der Größenordnung von mehreren hundert Milliarden Euro angerichtet.
Lebensmittelhersteller wie Lorenz-Bahlsen schließlich mengen ihren Produkten Stoffe bei, die mit natürlichen Nahrungsmitteln nur noch entfernt etwas zu tun haben. Um Produktions- und Kostenvorteile zu erzielen, führen sie die Verbraucher systematisch in die Irre.
Sind das Zufälle und persönliche Verfehlungen des jeweiligen Managements? Die tieferliegende Ursache liegt darin, dass in diesen Fällen der Wunsch nach maximalem Profit das Handeln diktierte. „In den vergangenen Jahrzehnten hat sich eine Art des Wirtschaftens in den Vordergrund geschoben, die den Gewinn absolut setzt“, sagt Ulrich Thielemann, Wirtschaftsethiker der Universität St. Gallen. „Es gibt da eine neue ökonomistische Radikalität im Management, die mit den betriebswirtschaftlichen Lehrbuchweisheiten ernst macht“.
Die Finanzbranche verkündete diese Haltung am lautesten. Dort setzte sich das Bestreben durch, eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent oder mehr zu erzielen. Wer eine Million Euro investierte, glaubte am Ende des Jahres das Recht auf einen Gewinn von 250.000 Euro zu haben.
Um diese abenteuerliche Gewinnmarge zu erreichen, musste jedes Geschäft, das man machen konnte, auch tatsächlich riskiert werden. Das Ergebnis ist bekannt: Das absolut gesetzte, isolierte, von jeglicher Selbstbeschränkung befreite Gewinnziel führte in die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise, die die Menschheit in den vergangenen 100 Jahren erlebt hat.
So geht es nicht weiter, wenn das Gerede über die Verantwortung der Unternehmen in Zukunft noch einen Sinn haben soll. Die neue Logik muss stattdessen lauten: Nicht jedes mögliche Geschäft darf gemacht werden. Um das zu erreichen, muss der Bundestag die Verfassung der Unternehmen etwa im Aktiengesetz neu entwerfen. Einen Ansatzpunkt kann die Idee der SPD bilden, die Firmen ausdrücklich auf das Gemeinwohl zu verpflichten.
Heute sind die meisten Betriebe an den Interessen einer einzigen Interessengruppe ausgerichtet: den Eigentümern und Aktionären. Diese Stakeholder-Gruppen sind bestrebt, in Gegenwart und Zukunft möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften. Zwar deutet sich mittlerweile eine Verschiebung von hohen, kurzfristigen zu moderaten, langfristigen Gewinnzielen an, doch den Hochgeschwindigkeitszug der herrschenden Logik konnte dies bislang kaum bremsen.
Die Interessen anderer Bevölkerungsgruppen schlagen sich in der Politik der Unternehmen dagegen seltener nieder. Eher auf der theoretischen Ebene spielen die Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit der Produktion eine Rolle. Die praktische Umsetzung dieser neuen Werte geht in den meisten Firmen aber nur so weit, wie sie den Gewinn nicht einschränkt. Ökologische und soziale Standards sind Zuckerguß.
Beispiele dafür sind nicht nur die risikoreichen Geschäfte der Banken, die Unfälle bei Vattenfall oder die Beimengung von Retortenkäse in Lebensmittel. Nähmen die Konzerne etwa ernst, was internationale Regelwerke für Unternehmensverantwortung wie der Global Compact der Vereinten Nationen empfehlen, dürften sie keine Niederlassungen in China betreiben oder Produkte von dort beziehen. Denn dort werden fundamentale soziale Rechte wie die Koalitionsfreiheit systematisch außer Kraft gesetzt.
„Man muss sich fragen, ob wir uns die Gesellschaftsform der Aktiengesellschaft in ihrer heutigen Form noch leisten können“, sagt der St.Galler Wachstumskritiker Hans-Christoph Binswanger. Wer neuen Interessen in den Konzernen zur Geltung verhelfen wolle, müsse die Unternehmensverfassung ändern.
Bisher üben Kapital und Arbeit die Kontrolle über die Firmenpolitik aus. Nur die Eigentümer und Beschäftigten entsenden Vertreter in die Aufsichtsräte der Aktiengesellschaften. Binswanger fordert demgegenüber einen grundssätzlichen Wechsel – er schlägt vor, Unternehmen in Stiftungen oder Genossenschaften zu verwandeln. Diese würden von Gremien kontrolliert, in denen sich die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen widerspiegelten.
Säßen dort Menschenrechtsorganisationen, nähme die Diskussion über mangelnde Gewerkschaftsrechte in China einen anderen Verlauf als bisher. Verbraucherschützer in den Aufsichtsräten von Lebensmittelkonzernen würden die Verwendung künstlichen Ersatzkäses nicht unbedingt durchgehen lassen. Umweltaktivisten könnten fragwürdige interne Prüfberichte bei Vattenfall in Frage stellen. Und die kritischen Aktionäre hätten die Zustimmung zu manchem Bankgeschäft verweigert.
Damit Unternehmen nicht egoistisch, sondern pluralistisch im Sinne des Gemeinwohls geführt werden, muss man ihnen eine Art Gewissen implantieren. Dieses institutionalisierte Hindernis kann dazu führen, dass bestimmte Geschäfte unterbleiben. Der Gewinn wäre nicht mehr die alles beherrschende Kategorie, es entstünde eine neue Balance von Geschäft und Ethik. Und das wäre eine sinnvolle Ergänzung der bisherigen Regulierung durch Gesetze. Die staatliche Rahmensetzung reicht offenbar nicht aus, um die Konzerne auf den Weg der Tugend zu führen.