Gewöhnung an Weniger

Vor 40 Jahren erschien das epochale Buch „Die Grenzen des Wachstums“. Mitautor Erich Zahn erklärt, warum Schrumpfen die Zukunft ist

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Von Hannes Koch

06. Mär. 2012 –

Ein kleineres Auto statt eines größeren – oder vielleicht gar keins mehr? Rodeln im Sauerland statt Skilaufen in Südtirol? Zu Verzicht auf materiellen Wohlstand ringen sich viele Menschen nur gezwungermaßen durch, wenn sie beispielsweise ihren Job verlieren. Dabei steht seit 40 Jahren die große Frage im Raume, ob wir nicht als gesamte Gesellschaft Verzicht üben sollten. Anfang März 1972 erschien das berühmte Buch des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“.


Erich Zahn war damals dabei. Als 32jähriger Assistent beurlaubte ihn die Uni Mannheim, damit er am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge/ USA mitwirken konnte, Massen ökonomischer Daten in neuen Computermodellen zu verarbeiten. „Eine tolle Erfahrung“, sagt Zahn gegenüber dieser Zeitung. Als Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Uni Stuttgart ist er mittlerweile emeritiert.


Die Wirkung des Berichts, der die Zukunft der Menschheit bis zum Jahr 2100 analysiert, ist kaum zu unterschätzen. Die Autoren unter Führung der US-Wissenschaftler Donella und Dennis Meadows erhielten 1973 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Das Werk hat die Gründung der Umweltpartei Die Grünen 1979, die Energiewende und den deutschen Atomausstieg des Jahres 2011 vorbereitet. Und besonders wegen der seit 2007 andauernden Finanz- und Verschuldungskrise stellt sich die Frage nach den Grenzen des Wachstumsmodells jetzt auf neue Art. Hat es Sinn, immer größere Geldsummen um die Welt zu schießen und damit alle paar Jahre einen Zusammenbruch auszulösen?


Die These des Buches ist so einfach wie besorgniserregend. Noch in diesem Jahrhundert werde der Wachstumsprozess, den die Welt für ganz normal halte, zum Stillstand kommen und in eine Schrumpfung übergehen. Infolge der steigenden Ausbeutung würden die Rohstoffvorräte abnehmen und die Preise steigen. In Kombination mit der wachsenden Umweltverschmutzung führe dieser Prozess dazu, dass die Nahrungsmittel- und Industrieproduktion nicht mehr zulege, sondern abnehme. Auch das Wachstum der Bevölkerung werde deshalb noch vor dem Jahr 2100 seinen Höhepunkt überschreiten.


Nachdem Erich Zahn und seine Kollegen den Fortschrittsglauben, der mit Marktwirtschaft und Demokratie seit Jahrhunderten zusammenhängt, in Zweifel gezogen hatten, erhielten sie viel Beifall, aber auch massive Kritik. In den Jahrzehnten seit 1972 hieß es beispielsweise, dass die prognostizierten Grenzen des Wachstums nicht zuträfen, weil immer neue Erdöl-, Gas- und Metallvorkommen entdeckt würden.


Indem die Menschen zusätzliche Rohstoffe ausbeuten, „kaufen wir uns nur etwas Zeit“, sagt dazu Erich Zahn. An der These, dass es „irgendwann zu Erschöpfung und Kollaps kommt“, hält der Ökonom nach wie vor fest. „Die grundsätzliche Problematik hat sich nicht verändert“, so Zahn.


Ein Beispiel: Wolle die Menschheit die Klima-Katastrophe verhindern, müsse sie den Ausstoß von Treibhaus-Gasen sehr stark verringern. Dies sei aber nur zu leisten, wenn schließlich auch die Produktion von Industriegütern abnehme. An die These der Entkoppelung – weiteres Wirtschaftswachstum bei sinkendem Energie- und Klimaverbrauch – glaubt Zahn nicht.


Damals wie heute stellt der Wissenschaftler damit die grundsätzliche Logik unseres gesamten Wirtschaftssystems in Frage. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien will sich bisher vom vermeintlich notwendigen Wachstum verabschieden. Selbst bei den Grünen hat sich die Kompromisslösung des „green growth“ durchgesetzt: Die Bürger dürfen mehr konsumieren, die Wirtschaft mehr produzieren, aber bitte alles hübsch „nachhaltig“. Allerdings wirkt auch in offiziellen Debatten der Wachstumsoptimismus nicht mehr so ungebrochen wie früher. So arbeitet im Bundestag eine Kommission, die ökonomischen Erfolg künftig nicht mehr nur mittels der Zunahme der Produktion messen will, sondern auch mit anderen Indikatoren, etwa der Staatsverschuldung und der Einkommensverteilung.


Möglicherweise tasten wir uns so an die grundsätzlich Frage „Mehr oder weniger?“ allmählich heran – ein Prozess, der schon ziemlich lange dauert. Bereits 1957 schrieb Ludwig Erhard, bekannt als Vater des bundsdeutschen Wirtschaftswunders, in seinem Buch „Wohlstand für alle“: „Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zurecht die Frage gestellt wird, ob es noch immer richtig ist, mehr Güter, mehr Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoll ist, unter Verzichtleistung auf diesen Fortschritt mehr Freiheit, mehr Besinnung, mehr Muße, und mehr Erholung zu gewinnen.“

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