Griechenland braucht mehr Zeit
Kommentar von Hannes Koch
23. Aug. 2012 –
Nicht immer ging es Deutschland so gut wie heute. Vor zehn Jahren war die Arbeitslosigkeit hoch, steigende Kosten drohten den Sozialstaat zu ersticken. Dann erfand die rot-grüne Regierung die Hartz-Gesetze. Diese haben einiges dazu beigetragen, dass Deutschland heute die Lokomotive Europas ist. Daraus sollten wir lernen: Reformen brauchen Zeit, um zu wirken. Diese Zeit sollte die Bundesregierung auch anderen Ländern zubilligen. Wenn Griechenlands Premier Antonis Samaras am Freitag in Berlin um mehr Spielraum für die Sanierung bittet, darf Kanzlerin Angela Merkel ihm diesen Wunsch nicht abschlagen.
Nur mit Härte kommt man nicht weiter. Sicherlich liegt in Griechenland vieles im Argen. Aber der Blick zurück auf die Entwicklung, die Deutschland während des vergangenen Jahrzehnts genommen hat, lohnt. Menschen und Institutionen stellen sich nicht von heute auf morgen auf eine neue Lage ein. Hierzulande hat es beispielsweise Jahre gedauert, bis aus den alten Arbeitsämtern die effektiveren Arbeitsagenturen wurden. Es reichte nicht, das Behördenschild zu ändern. Man musste neue Vermittlungsverfahren und Ausbildungshilfen für Erwerbslose erfinden.
Warum soll so etwas in Griechenland anders sein? Funktionierende Finanz- und Katasterämter kann man nicht aus dem Boden stampfen. Die nötigen Spezialisten müssen gesucht, gefunden und eingearbeitet werden. Noch länger dauern Mentalitätswechsel. Verbreitete Steuerhinterziehung zu beklagen, ist das Eine, sie zu verfolgen, Prozesse zu führen und eine Verhaltensänderung der Mehrheit durchzusetzen, das Andere.
Dies einzusehen, bedeutet nicht, alles zu tolerieren. Die Griechen müssen tatsächlich lernen, grundsätzlich nur das Geld auszugeben, das sie einnehmen. Aber dieser Leitsatz gilt für Deutschland ebenso. Und auch wir halten ihn nicht ein – siehe die geplante Neuverschuldung des Bundes von 32 Milliarden Euro in diesem Jahr. Schließlich geben wir uns bis 2020 Zeit, unsere Schuldenbremse voll in die Praxis umzusetzen. Dieses Eingeständnis sollte dazu beitragen, die Bundesregierung gegenüber Griechenland etwas milder zu stimmen.